Wien – Auch Übungsarbeiten können aufschlussreich sein. Darauf jedenfalls scheint der junge französische Choreograf Noé Soulier in seinem Stück Removing zu setzen, das am Wochenende im Tanzquartier zu sehen war. Darin zeigen zwei Frauen und vier Männer, dass sie gut tanzen können.
Das ist vor allem erfreulich, weil es bei dieser Arbeit nicht um Gags oder Auftrumpfen um der reinen Virtuosität willen geht. Hier wird in die Tiefe sondiert. Zu nur sparsam eingesetzten Musik- beziehungsweise Soundbeigaben lotet das Grüppchen Möglichkeiten der Bewegung zwischen körperlicher Alltagshandlung und Kampfsport aus.
Der Titelbegriff "Removing" wird vom Choreografen nach eigenen Angaben mit "sich erneut bewegen" und "Dinge wahrnehmen" übersetzt. Was eine Neudeutung des englischen Worts to remove mit der Bedeutung entfernen, beseitigen ist. Neu gedeutet wird auch der heutige Stand der zeitgenössischen Choreografie, wenn es im Abendprogramm heißt, Soulier eröffne in diesem Stück "neue Perspektiven auf den Tanz".
Exhumierung einer Tanzauffassung
Ist das etwa als nicht zu Ende erzählter Witz gemeint? Denn auf der Bühne geschieht genau das Gegenteil. Da werden sehr tradierte Bewegungsmuster erprobt, und Soulier exhumiert eine Auffassung von Tanz, die es noch erlaubte, die Bewegung symbolisch vom Körper zu trennen und einer Idee von "reinem" Tanz zu folgen.
Während der vergangenen vierzig Jahre hat es – vor allem in den USA, in England und Frankreich – sicherlich Hunderte ähnlicher Stücke gegeben, in denen gut trainierte Tänzer ihre Auditorien mit schönen Bewegungsübungen erfreuten. Dem fügt Soulier nichts Besonderes hinzu.
Allerdings ist das Publikum heute von der Vielfalt der Mittel verwöhnt, die der zeitgenössische Tanz nutzen kann.
Künstlerische Punktlandung
Noch vor zwei Wochen beispielsweise hatte im Tanzquartier bei "Philosophy on Stage" Saskia Hölbling ihre zusammen mit Laurent Goldring geschaffene Choreografie bodies (with)in fences (2013) wieder gezeigt – gerade in Zeiten der Selbsteinzäunung Europas eine echte künstlerische Punktladung. Soulier dagegen hat alle gesellschaftliche Relevanz aus seinem Tanz entfernt. So stimmt der Titel Removing in seiner richtigen Bedeutung exakt mit dem Stückinhalt überein.
Kann ja sein, dass Choreografen zu unserer Zeit nichts einfällt und dass sie sich in ein Rezyklieren von Formalismen retten. Dem kann zu Recht etwas abgewonnen werden, schließlich liefern Souliers Tänzerinnen und Tänzer eindeutige Qualitäten. Aber ebenso legitim ist es, sich bei Removing schlicht unterfordert zu sehen und den noch jungen und schon so altbackenen Choreografen einzuladen, sein Publikum künftig ein bisserl weniger zu fadisieren. (Helmut Ploebst, 6.12.2015)