Wien – Puppist und Regisseur Nikolaus Habjan weiß, wie man atmosphärisch-dicht und anrührend erzählt. Und es scheint, als habe er in Jakob Brossmann einen kongenialen Bühnenbildner gefunden. Das Missverständnis der beiden ist bereits als gefeierte Gemeinschaftsarbeit am Volkstheater zu sehen, mit Christine Lavants Wechselbälgchen (1948) dürfte eine weitere dazukommen.
Lavant erzählt darin die Geschichte der glasäugigen Kuhdirn Wrga, deren (wohl vom Tabakkauen) geistig behindert zur Welt gekommenes Kind ein Wechselbalg sein soll – ein vom Bösen untergeschobenes Wesen, ein Unglücksbringer. Von ihr dennoch geherzt und vom Dorf zärtlich geduldet, findet sein beschütztes Leben erst ein Ende, als Lenz auftaucht. Ein Traum hat ihm mit ihr an seiner Seite Wohlstand prophezeit. Nun steht Wrga zwischen ihrer Mutterliebe und dem Gefallen an der (vorgetäuschten) Zuwendung des Knechts, der sich die Geschundene in ihrer Not gefügig macht. Bis zum bitteren Ende des Kindchens Zitha.
Märchenhaft
Märchenhaft und mystisch bringt Habjan den von Sagen, Sozialhistorie und Lavants eigener, von Krankheit gezeichneter Biografie gespeisten Text auf die Bühne. Bravourös gelingt das zum einen wegen der für ihn typischen Ergänzung des tollen Ensembles (Seyneb Saleh, Florian Köhler, Gábor Biedermann, Claudia Sabitzer) durch Masken bzw. Puppen. Herzzerreißend hat er Zithas Gesichtchen modelliert, düster dagegen die Maske der Schwundbäuerin.
Zum anderen beeindruckt Brossmanns visuell und funktional durchdachtes Bühnenkonzept, in dem sich unzählige starke Bilder in Szene setzen lassen: Drei Vitrinen hat er aufgestellt und darin en miniature eine Berglandschaft nachgebaut, in welcher die vier Darsteller starr wie kulturkundliche Ausstellungsstücke verharren, ehe sie zum Leben erwachen und auf die Bühne herabsteigen. Schon allein der Kirchturm, der hierbei als Einziges an die Höhe der Felswände heranreicht, genügte, um jene hier vorherrschende Lebensenge und Aussichtslosigkeit zu umreißen, wo der Mensch stets ganz klein ist, ist sein Schmerz auch groß.
Erste Dramatisierung
Diesen Schmerz sowie die oppressiven Umstände seines Auftretens hat sich Lavant zeit ihres Lebens zum Thema gemacht. So genau gab sie dabei ihr eigenes Umfeld wieder, dass jenes sich darin erkannte. "Wenn ich gewusst hätte, dass diese (in Stuttgart publizierten, Anm.) Texte nach Österreich eingeführt werden, hätte ich sie nie geschrieben" klagte Lavant 1949 in Reaktion auf die Ablehnung und Angriffe und schrieb bald nur mehr Lyrik, für die man sie heute vor allem kennt.
Der allerersten Dramatisierung eines ihrer Texte hat sich zum 100. Geburtstag ihre Kärntner Heimatkollegin Maja Haderlap angenommen. Ihr Wechsel von Erzähltext und dialektal durchsetzter Kunstsprache ist gelungen, diese Irritation belässt den Stoff im Entstehungskontext und öffnet ihn zugleich darüber hinaus: Unwertes Leben? Das gab es weder damals noch heute, zeigt dieses Lehrstück.
Bis Februar tourt die Produktion als Volkstheater in den Bezirken durch Wien. (Michael Wurmitzer, 6.12.2015)