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Schauspielerkörper, mechanisch-schräg in Betrieb genommen: Markus Meyer, Marie-Luise Stockinger und Joachim Meyerhoff (v. li.) in Molières "Der eingebildete Kranke" am Burgtheater.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Wien – "Gar nicht krank ist auch nicht gesund", meinte Karl Valentin. Und spielte damit den vielen Hypochondern dieser Welt elegant in die Hände. Einer der größten unter ihnen ist Monsieur Argan aus Molières Komödie Der eingebildete Kranke (1673). Er hält so unbändig viel auf die Weisheit der Ärzte, dass es ihm nicht nur wert ist, ein halbes Vermögen für Behandlungen auszugeben, sondern auch zwingend erscheint, die Stelle des Schwiegersohns mit einem Medikus zu besetzen. Tochter Angélique sieht dies naturgemäß anders.

Unter Röntgenbildern von Gebissen und Gelenken nimmt Regisseur Herbert Fritsch am Burgtheater die Komödie auf eine Weise in Betrieb, in der das hypochondrische Entsetzen zunächst einmal in den Körpern seinen Ausdruck findet, in puppenhaft-mechanischen Bewegungen:

Da wäre der angstelektrifizierte Körper Argans (Joachim Meyerhoff mit klistiertauglicher Hose), der großräumig liebestaumelnde Leib von Tochter Angélique (Marie-Luise Stockinger), und da wären auch die vergnüglich-strategischen Zuckungen des Dienstmädchens Toinette, die Markus Meyer, Komödienhero der Stunde, im Sturm genommen hat (er war für die in den Endproben verunfallte Caroline Peters eingesprungen).

Tempo ist alles

Marta Kizyma mimt ein tolles Automatenkind, Argans Gattin Bélinde (Dorothee Hartinger) schwebt figurinengleich herein, als käme sie vom Triadischen Ballett Oskar Schlemmers; in scheinbar sorgenvollen Sätzen gibt sie durch verfremdende Intonation die Namen ihrer Geliebten preis ("ANDIe Wand" usw.). Molières Text (Übersetzung und Neufassung: Sabrina Zwach) kommt in dieser akrobatischen Gesten- und Grimassenkunst aber auch unter die Räder, er wird – Tempo ist alles – aus den Körpern herausgepresst, manchmal bis zur Unverständlichkeit. Dennoch wird viel Mühe auf ihn verwendet und werden Blödsinnigkeiten zelebriert: "Schwellkörper stabilisieren, Prostata gentrifizieren". Möchtegernschwiegersohn Cléanthe (Laurence Rupp) kreiert unter seiner barocken Mähne einen Lion-King der Wiener Vorstadt (Slang).

Speibgrün und dünnschissgelb ist die Bühne erleuchtet (Licht: Friedrich Rom), von ungesunder Farbe sind auch die Latex-Barockgewänder Victoria Behrs, deren Üppigkeit die Verkleidungs- und Verstellungskunst des Theaters feiern. Inkontinenzgelb hängen die Kittel an den Ärzten herunter; neben Ignaz Kirchner, Simon Jensen und Hermann Scheidleder spielt Johann Adam Oest den Dr. Purgon mit nosferatuhaftem Charme. In ihnen erkennt man Herbert Fritsch als Tim Burton des Theaters.

Dialoge gehen in Akrobatik über

Die Verbindung zur Entstehungszeit des Stücks greift Fritsch durch das Cembalospiel auf: Drei solche, in diesem Fall selbstspielende historische Tasteninstrumente (Musik: Ingo Günther) sind Quelle des Slapsticks. Argan gerät in ein nicht unfallfreies Zwiegespräch mit einem dieser Klanginstrumente. Man lacht sich kaputt, insbesondere dann, wenn Dialoge unvermittelt abreißen und in Akrobatik übergehen.

Man nimmt von dieser Aufführung gewiss glühende Wangen mit nach Hause, viele herzhaft plumpe Wortspiele und entzückend makabere Bilder. Dennoch lauert in den rasenden Fritsch-Inszenierungen stets die Gefahr, dass sie das Level ihrer hochtourigen Komödienkunst nicht durchgehend halten können. Schon vor der Pause, bei der länglichen Liebeserklärung Cléanthes an Angélique, war die Luft einmal draußen.

Das sind aber nur schnöde Kreislaufprobleme. (Margarete Affenzeller, 7.12.2015)