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Selbst wenn FN-Chefin Marine Le Pen bei der Regionalwahl mehrere Regionen erobern sollte, heißt das nicht, dass sie freie Hand hat.

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François Hollande bei der Stimmabgabe – wie auch die anderen Franzosen zum letzten Mal bis zur Präsidentenwahl 2017.

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Marine Le Pen am Wahlabend.

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Es war ein seltsamer Wahlkampf: Niemand interessierte sich für die Themen, mit denen sich die am Sonntag gewählten französischen Regionalräte tatsächlich befassen müssen: Schulen, Straßen, Berufsbildung. Nach den Terroranschlägen des 13. November ging es eher um Moscheenschließungen, den nationalen Ausnahmezustand und Flüchtlinge – also durchwegs um Themen, für die keine der 13 französischen Regionen zuständig ist.

Und dass es mehr um Sicherheit als um Soziales ging, war schon vor der Schließung der Wahllokale klar: Einen Sieg würden sich wohl nur die beiden Rechtsparteien – die konservativen Republikaner (LR) und der rechtsradikale Front National (FN) – unter sich ausmachen, vor den regierenden Sozialisten und den Grünen.

Die Rechte ist nicht erst seit dem 13. November, auch nicht seit den "Charlie Hebdo"-Anschlägen vom Jänner auf dem Vormarsch. Die steigende Arbeitslosigkeit und die Steuerlast hatten den Sozialisten François Hollande zum unpopulärsten Präsidenten der Fünften Republik gemacht.

Die Regionalwahlen sind nach den Gemeinde- und Kommunalwahlen nur der letzte Beleg für den Krebsgang des Regierungslagers. Das ist an sich auch nichts Ungewöhnliches: In der französischen Politik, die sich am Fünfjahresrhythmus der Präsidentschaftswahlen (2002, 2007, 2012, 2017) ausrichtet, werden solche Zwischenwahlen meist benützt, um die Regierung in Paris abzustrafen. Dass die Regionen derzeit fast ausschließlich links dominiert sind, geht auf die Regionalwahlen von 2010 zurück, als es der konservative Staatschef Nicolas Sarkozy war, der den Volkszorn zu spüren bekam.

Geändert hat sich seither vor allem, dass immer mehr "rechte" Franzosen FN wählen. Das Stimmenpotenzial liegt heute bei 30 Prozent. Verglichen mit früher ist das enorm, und die etablierten Parteien reagieren darauf geradezu "erstarrt", wie "Le Monde" schreibt.

Geringe Kompetenzen

Und doch gilt es zu relativieren: Die nun bestimmten Regionalräte haben eigentlich sehr geringe Kompetenzen. Selbst wenn FN-Chefin Marine Le Pen mehrere Regionen erobern sollte, kann sie zum Beispiel im Bereich Immigration nicht einfach den Hahn zudrehen, sondern höchstens migrationsfreundlichen Vereinen die Subventionen entziehen.

Auf nationaler Ebene hat der FN mit bloß zwei von 577 Parlamentssitzen noch weniger zu sagen. Eineinhalb Jahre regiert in Paris und im Élysée-Palast noch die Linke, und das äußert sich fast täglich in Regierungsbeschlüssen – sei es für die Homo-Ehe oder die fiskalische Begünstigung von einkommensschwachen Haushalten.

Hollande hat zwar den Ausnahmezustand dekretiert, was bisweilen mit dem amerikanischen "Patriot Act" der Bush-Regierung von 2001 verglichen wird. Das geschah aber bei Hollande weniger unter FN-Einfluss als im Dienst einer traumatisierten Nation. Selbst die linken Stammwähler billigen laut Umfragen das harte Vorgehen der Polizei.

Mit seinem martialischen Auftreten hat sich Hollande auf einen Schlag aus seinem Umfrageloch gehievt: Plötzlich liegt seine Beliebtheitsquote wieder bei 50 Prozent, also ungefähr auf der Höhe seines Wahlresultats von 2012.

Hollande hat noch Zeit

Das Beispiel von George W. Bush – und von Hollande selbst nach den Charlie-Anschlägen – zeigt zwar zur Genüge, dass dieser Effekt nicht lange anhalten muss. Vor allem nicht, wenn die tieferen Ursachen wie etwa die Rekordarbeitslosigkeit keineswegs beseitigt sind. Hollande hat jedoch noch bis zum Mai 2017 Zeit, seine Wiederwahlchancen zu pflegen – und als Präsident verfügt er über gewichtige politische, behördliche und mediale Hebel. Wie er seine härtesten Widersacher Sarkozy und Le Pen bei den nationalen Gedenkfeiern für die Terroropfer zu Statisten seines eigenen präsidialen Auftritts machte, war taktisch gesehen hohe Schule.

Wenn die Konjunktur in den nächsten Monaten anziehen und die Arbeitslosigkeit sinken sollte, bewahrt Hollande eine Wiederwahlchance – zumal gegenüber Sarkozy und Le Pen, an deren Mehrheitsfähigkeit man zweifeln kann. Wenn der Sozialist hingegen wirtschaftspolitisch weiter zaudert und laviert, könnte die Rechte – sogar die extreme Rechte – 2017 durchaus ans Ruder kommen. Bis dahin regiert sie aber in Frankreich erst in den Köpfen; an der Macht wird in Paris noch eineinhalb Jahre die Linke bleiben. (Stefan Brändle aus Paris, 6.12.2015)