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Das "India Gate" lässt sich selbst aus wenigen Metern Entfernung nur noch schwer erkennen. Schuld daran ist der Smog.

Foto: REUTERS/Anindito Mukherjee

Eigentlich neigen Delhis Oberste Richter nicht zur Dramatik. Doch nun reicht es ihnen. In Delhi zu wohnen sei "ähnlich, wie in einer Gaskammer zu leben", machten sie Anfang Dezember ihrem Ärger Luft. Der Schockvergleich traf einen Nerv. Indiens 16 Millionen Einwohner zählende Hauptstadt erstickt im Smog. Schon seit langem ist Delhis Luft der Gesundheit nicht zuträglich, doch inzwischen hat die Stadt laut der Weltgesundheitsorganisation die schlechteste Luft der Welt – und sogar Peking überholt.

Vor allem in den Wintermonaten liegt ein gelbweißer Giftteppich über der Megacity. Zuletzt spitzte sich die Lage so zu, dass das Oberste Gericht die Landesregierung zum Handeln verdonnerte. Nun will Arvind Kejriwal, Regierungschef des Hauptstadtterritoriums Delhi, mit radikalen Fahrverboten den Privatverkehr halbieren: So sollen Delhis fast neun Millionen Privatautos, Mopeds und Motorräder vom 1. Jänner an nur noch jeden zweiten Tag fahren dürfen – am Dienstag, Donnerstag und Samstag Fahrzeuge mit geraden Nummern, am Montag, Mittwoch und Freitag die mit ungeraden Nummern.

Halbe Stadt evakuieren

Pate dafür stand unter anderem Peking, das bereits 2008 Fahrverbote verhängte. Delhis Bürger hätten eine Atempause bitter nötig. An vielen Tagen sind die Schadstoffwerte so hoch, dass eigentlich die halbe Stadt sofort evakuiert werden müsste – und Medien nur noch von "Mörderluft" sprechen. Die Megacity hat inzwischen die weltweit höchste Belastung mit Feinstaub. An einigen Tagen übersteigen die Werte die von der WHO genannten Limits um das 30- oder sogar 40-Fache. Besonders Kleinstpartikel von weniger als 2,5 Mikrometer Durchmesser gelten als hochgefährlich und krebserregend.

Die Folgen für die Gesundheit sind fatal. Fast 50 Prozent aller Schulkinder haben laut Studien teils irreversible Lungenschäden, schon Kleinkinder leiden an Raucherhusten. Ärzte raten Familien sowie Lungen- und Herzkranken, aus der Hauptstadt wegzuziehen. Doch anders als in Peking gibt es nicht einmal ein öffentliches Alarmsystem. Weder erlässt die Regierung Ausgangsverbote, noch werden Schulen und Fabriken geschlossen. Alles geht seinen gewohnten Gang, und unzählige Menschen arbeiten im Freien. Einzig Wohlhabende können sich teure Filtersysteme leisten, die zumindest die Luft in den Innenräumen verbessern.

Ministerpräsident: "Notstand"

Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Jeden Tag rollen 1.400 zusätzliche Autos auf Delhis Straßen. Selbst Ministerpräsident Kejriwal spricht inzwischen von einem Notstand. Doch das Echo auf seine Pläne ist gespalten. Umweltaktivisten begrüßten das Modell, auch Indiens oberster Richter Tirath Singh Thakur stellte sich demonstrativ hinter die Fahrverbote. Er werde an den autofreien Tagen den Bus nehmen, erklärte Thakur.

Kritiker warnen dagegen, das Modell werde grandios scheitern und Delhi ins Chaos stürzen. Zwar verfügt die Metropole über U-Bahn und Busse, aber das öffentliche Nahverkehrsnetz ist bei weitem nicht so gut gut ausgebaut wie das von Peking. Für viele Menschen dürfte es schwierig werden, zur Arbeit zu kommen und die Kinder zur Schule zu bringen. Frauen bangen zudem um ihre Sicherheit. Die nächste Haltestelle ist oft weit weg, der Busverkehr unzuverlässig.

Fehlende Überwachung

Unklar ist auch, wie das System überwacht werden soll. Peking hatte Überwachungskameras aufgebaut, um die Fahrverbote zu kontrollieren. In Delhi soll dagegen die Polizei mögliche Sünder aus dem Verkehr ziehen. Dazu reichen die Kapazitäten der Polizei kaum aus. Das System begünstigt zudem die Reichen. Sie können sich einen zweiten Wagen mit einer anderen Nummer kaufen, um das Fahrverbot zu umgehen. Genau das ist auch in China geschehen.

Auch Kejriwal plagen Zweifel, ob das Modell in Indiens anarchischer Hauptstadt funktioniert. Die rotierenden Fahrverbote würden zunächst als 14-tägiger Versuch starten, versuchte er die Wogen zu glätten. "Wenn es zu viele Probleme gibt, können wir es stoppen." Alternativen hatte er allerdings auch nicht parat. (Christine Möllhoff, 7.12.2015)