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Aufnahme des "Baker-Tests" im Rahmen der US-"Operation Crossroads" auf dem Bikini-Atoll. Der Kernwaffentest erfolgte am 25. Juli 1946.

Foto: United States Department of Defense/Library of Congress

Wien – Erderwärmung, Oberflächenumgestaltung, Ozeanversauerung, Dezimierung der Arten und der Ozonschicht, Kernwaffentests: Der Mensch ist zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse der Erde geworden. Manche Forscher schlagen daher ein neues Erdzeitalter vor: das "Anthropozän". Ob dies gerechtfertigt ist, diskutieren Experten am Montag in Wien.

"Derzeit liegt ein Antrag bei der Internationalen Kommission für Stratigraphie (ICS) vor, und eine Arbeitsgruppe soll klären, ob dieser Vorschlag wissenschaftlich Sinn macht", erklärte Christian Köberl vom Naturhistorischen Museum Wien und der Kommission für Geowissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Die ICS ist die offizielle Stelle für die Einteilung der Erdzeitalter. Durch diese Debatte ist sie aber nun in einer ungewohnten Lage.

Denn die Stratigraphen haben die Erdzeitalter allesamt nach charakteristischen, gut datierbaren Merkmalen von Gesteinsschichten definiert, wie Kohlevorkommen im Karbon und Calziumkarbonat von Krebstieren, Korallen, Schnecken und Muscheln in der Kreidezeit. Davon hat man jeweils auf die damaligen Umweltbedingungen geschlossen. Heute hingegen kennt man diese Umstände ganz genau und kann sie an Land, in der Luft und im Wasser genau bestimmen.

Charakteristische Spuren

Um ein neues Erdzeitalter rechtfertigen zu können, müssten die Geologen aber lang anhaltende Veränderungen im Gestein finden. Dies versucht nun der Paläobiologe Jan Zalasiewicz von der Universität Leicester (Großbritannien) mit der ICS-Arbeitsgruppe. Er befürwortet die Einführung des "Anthropozäns" als geologische Epoche und soll 2016 der Kommission einen Bericht vorlegen.

Doch es sei wohl schwer, etwas Charakteristisches für ein Erdzeitalter zu finden, das erst vor ein paar Jahrzehnten begonnen hat, meint Köberl. Die Radioaktivität, die sich durch die vielen Kernwaffentests im Kalten Krieg im Gestein niedergeschlagen hat, würde aus geologischer Sicht bald wieder verschwinden. Ob sich Plastik als dauerhaftes Leitfossil hält, sei auch fragwürdig. Und ein Anstieg von CO2 in der Atmosphäre wäre kein geologisches und schon gar kein stratigrafisches Ereignis, so Köberl.

Aus seiner Sicht bräuchte es nicht unbedingt eine neue Epoche, um die menschlichen Einflüsse zu inkludieren. Diese wären schon mit dem Holozän, das vor etwa 11.000 Jahren begonnen hat, abgedeckt. Wenn man das Anthropozän außerdem – wie von manchen Forschern gewünscht – etwa mit der industriellen Revolution oder den Kernwaffentests beginnen lässt, würden etwa die viel früheren menschlichen Veränderungen durch das Roden von Wäldern, das Umackern der Graslandschaften und Trockenlegen von Sümpfen für die Landwirtschaft unbeachtet bleiben, obwohl dies auch große Auswirkungen auf die Bedingungen auf der Erde hatte.

Politik oder Wissenschaft?

"Wir haben menschliche Beobachtungen. Wir haben schriftliche Aufzeichnungen. Wir haben Messungen von unseren Instrumenten", sagte Stanley Finney, Präsident der ICS, "warum müssen wir Belege in den Felsen finden?". Er und seine Kollegen wären Forscher, die sich mit der Vergangenheit der Erdgeschichte beschäftigen – was hier von Geologen aber verlangt werde, sei eine politische Entscheidung für die Zukunft.

Er sei sehr wohl der Ansicht, dass eine Kaskade von menschlichen Aktivitäten eine Kaskade von Störungen des "Systems Erde" ausgelöst hat, so Finney. Doch das Anthropozän aufgrund des Beginns von diversen Ereignissen als chronostratigrafische Epoche auszurufen, hält er für "Missverstehen des Konzepts".

"Dieser Ansicht kann ich mich sehr wohl anschließen", sagte Köberl. Man müsse in Frage stellen, ein Erdzeitalter zu schaffen, das sich in geologischer, stratigrafischer und paläontologischer Weise grundsätzlich von allen anderen unterscheidet. Dies wäre auch für ihn tatsächlich mehr ein politisches Statement und ein Marketing-Gag als eine wissenschaftlich fundierte Entscheidung.

Die Kommission der Geowissenschaften der ÖAW beteiligt sich nun an der Diskussion mit einem wissenschaftliche Symposium. Dort sollen vor allem Kriterien und Testmethoden erörtert werden, die eine Einführung des neuen Erdzeitalters rechtfertigen könnten. (APA, 7.12.2015)