Heinemann: Die meisten Einzelhändler betreiben Einzelhandel wie vor 50 Jahren, quasi wie in der Steinzeit.

Foto: DPDHL 2015

STANDARD: Österreichs Geschäftsleute sind fest davon überzeugt, dass die Kunden zu Weihnachten in ihre Geschäfte kommen, weil es nett ist, und sie fühlen und angreifen wollen. Berechtigte Zuversicht?

Gerrit Heinemann: Es ist ein großer Fehler, anzunehmen, dass die Kunden, die ins Geschäft kommen, nicht auch online kaufen. Fast 80 Prozent davon nutzen das Internet zur Artikelsuche und entscheiden dann, ob sie in die Stadt gehen, ob sie online kaufen und dann im Geschäft abholen.

STANDARD: Umgekehrt beraten Händler und der Kunde kauft trotzdem dann online.

Heinemann: Es gibt sicher Kunden, die sich im Geschäft nicht entscheiden können und dann zuhause online kaufen – häufig als Beratungsdiebe verschrien. Online-Shops bieten aber oft Rumpfsortimente. Der Kunde kann damit Artikel gar nicht in Ruhe im Online-Shop des Händlers kaufen, und geht im Zweifel zu Amazon.

STANDARD: Wie ist das möglich? Ist der Kunde nicht eine der am besten erforschen Spezies?

Heinemann: Irrtum. Der Kunde ist vielschichtig, ändert sich ständig und ist schwer zu erfassen. Online-Händler können genau nachvollziehen, was der Kunde macht. Der stationäre Händler guckt ins Gesicht und weiß nicht, wie der Kunde wirklich drauf ist.

STANDARD: Täuscht der Eindruck, dass der Kunde oft keineswegs wie ein König behandelt wird?

Heinemann: Ich unterstelle sogar eine große Lücke zwischen dem was Kunden erwarten und dem, wie das der Handel sieht. Knapp ein Drittel der Händler ist im Internet vertreten. Nur die Hälfte davon hat einen mobil optimierten Auftritt. 70 Prozent der Erwachsenen sind aber mit Smartphone bewaffnet, der Großteil will mobil shoppen. Was aus Kundensicht wichtig ist, haben die meisten Händler damit gar nicht am Schirm.

STANDARD: Ist die Hürde für Händler zu groß?

Heinemann: Wir haben wirklich mit großer Verwunderung festgestellt, dass viele lokale Händler eine regelrechte Internetallergie haben – da kann man nur Sterbehilfe leisten. Aber es gibt zum Glück auch andere, die wollen, aber nicht wissen, wie sie den ersten Schritt tun oder die auch schon angefangen haben. Wir haben ein Kooperationsprojekt mit Ebay gestartet, um die lokalen Händler auf die Plattform zu bringen. Wieder haben wir gestaunt, dass die meisten Händler nicht einmal ein elektronisches Warenwirtschaftssystem haben. Das heißt, die meisten Einzelhändler betreiben Einzelhandel wie vor 50 Jahren, quasi wie in der Steinzeit. Wir haben dafür aber eine günstige, sozial verträgliche und umsetzbare Lösung gefunden. Man muss diese Händler regelrecht an der Hand nehmen.

STANDARD: Die Frage, ob die Kunden zu verwöhnt sind, oder mit falschen Erwartungen in Läden gehen, stellt sich nicht?

Heinemann: Dumm wäre, täte er das nicht. Er hat nur Vorteile. Neulich hat ein Innenstadt-Händler seine Läden schwarz verhängt. Das hieß: So sieht es aus, wenn ihr im Internet kauft. Also Kunde, ändere dich gefälligst.

STANDARD: Der Grund für die Verweigerung mancher Händler?

Heinemann: Es wird unbequemer, weil man professioneller werden muss. Dazu kommt: Der Händler ist gewohnt im Laden zu sitzen und die Kunden kommen zu ihm. Er könnte sich aber mit anderen lokalen Händlern zusammentun und dem Kunden den Anzug oder die Waschmaschine vorbeibringen. Ich würde diese schnelle Belieferung, die der lokale Händler am besten kann, nicht kampflos einem Amazon überlassen. Da könnten Lokale Händler punkten, statt einfach im Laden zu sitzen und zu sagen, die Welt draußen ist böse, da gehe ich nicht hin.

STANDARD: Digitalisierung ist Ursache für die Entfremdung zwischen Kunden und Handel?

Heinemann: Ja. Das ist so. Selbst bei professionellen Händlern – etwa in einem namhaften Bekleidungshaus. Ich brauche keine Beratung, suche mir die Sachen selbst. Dann muss ich eine Verkäuferin ansprechen, weil die den Artikel zur Zentralkasse gibt. Und ich muss mich in der Schlange einreihen. Das hasse ich wie die Pest. Ich gehe nicht mehr hin.

STANDARD: Selbstbedienungskassa statt unmotivierte Angestellte?

Heinemann: Ich kann in Großbritannien am Regal mit Gerät bezahlen, oder an der Selbstbedienungskassa. Für ‚blöde‘ Arbeiten Selbstbedienung, wo Beratung nötig ist, muss man richtig investieren. Für echt kompetent und echt gut drauf, zahlt der Kunde gern. Aber der Kunde tut eines nicht mehr: Er bezahlt nicht ein Premium von 20 Prozent nur weil Beratung im Laden steht. (Regina Bruckner, 13.12.2015)