Wolfgang Zankl kocht in Wien-Alsergrund, dass einem schwindlig wird.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Onglet vom Rind: Zankl zieht das Stück ein paar Minuten in temperiertem Rindertalg ins Rosablutige, brät es scharf an und dazu gibt es hyperflaumigen Serviettenknödel.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Man taumelt aus dem Gastraum in die Nacht und ist benebelt. Nicht nur wegen der Weine, obwohl die von einigen der spannendsten Winzer des Kontinents stammen und zu gastfreundlichen Preisen eingeschenkt werden. Auch aus Euphorie: Ist dieses blank gewienerte, spartanisch ausgestattete Uralt-Beisl mit unglücklichem Namen wahrhaftig der Ort, an dem gerade eines der aufregendsten Essen der Stadt auf die Teller kommt?

Wird es tatsächlich von einem Ex-Unternehmensberater bekocht, der beim Wiener Kreativkoch Markus Mraz eine Kochlehre absolvierte, ein paar Monate an heißen Adressen in England und Dänemark dranhängte – um jetzt in aller Bescheidenheit und mit allerfeinsten Zutaten ausgestattet zu zeigen, was er sich unter zeitgemäßem, in unserer Tradition wurzelndem Essen vorstellt? Man zwickt sich in die erwartungsfroh gerötete Nase, schreit empört auf und weiß: ja.

Reduktion aufs Wesentliche

Dass Wolfgang Zankl dafür keiner Innenstadtadresse, keiner Designmöbel und auch keines angesagten Architekturbüros bedarf, macht nicht nur Mut, es zeigt auch, wie sehr Reduktion aufs Wesentliche die Möglichkeiten erweitert. Vier Gänge kosten 39 Euro, fünf sind um 48 zu haben, sieben um 63. Was es gibt, erfährt man erst, wenn Zankl die Teller zu Tisch bringt – das nur als Warnung für jene, die sich unter Kontrollverlust nichts Genussvolles vorstellen können.

Was man sich erwarten darf? Zuallererst Dinkelbrot, selbstgebacken und mit hausgemachter Sauerrahmbutter, gefährlich gut. Dann vielleicht Schwarzwurzeln, gedämpft, noch zart knackig, die Schalen zu wundersam würzigen Chips gedörrt, mit Birne und Nüssen, vor allem aber mit einer mittels Verjus aufgezwirbelten Nussbutter. Die ist so fein balanciert, dass sie noch Tage später für große Gefühle sorgt und einen augenblicklich nach dem Saucenlöffel rufen lässt. Ist eh da, in einer Relae-Lade unterm Tisch.

Oder Rehrücken, in Tannennadeln gebeizt und roh in pastöser Zartheit serviert, mit gehobelten Champignons (so gut!), mit Steinpilzöl und einem zartbitteren Tannenkaramell – sachte zusammengefügte Herbstaromen, reduziert, groß. Dazu gibt es einen Schluck Corvée de Trou Trou, argen Naturwein vom Kultweingut Octavin im französischen Jura: wäre für sich nur unter Gewaltandrohung trinkbar, funktioniert zum Reh aber wie eine Art Saftl, erdig und doch wundersam fruchtig, wui.

Krautroulade!

Wildzander ist wohl der tollste Teller des Abends: Der Fisch gerade noch glasig, auf der Haut knusprig gegrillt, dazu gibt's Buttermilchsauce (heißt zumindest so, schmeckt wie Ambrosia!), gebratenes Kraut und, vor allem, eine Krautroulade, die mit fermentiertem Kraut und süßrauchiger Paprika gefüllt ist. Klingt simpel, ist es vielleicht auch. Unterm Strich: die beste Krautroulade ever. In derselben Spielart geht es weiter: Onglet vom Rind, ein klassisches Fleischhauerstück, das Zankl vom legendenumwobenen Metzger Franz Graf aus Munderfing im Innviertel bezieht.

Zankl zieht das Stück ein paar Minuten in temperiertem Rindertalg ins Rosablutige (siehe Bild), brät es scharf an und gibt hyperflaumigen Serviettenknödel, vor allem aber allerhand Pilze (Totentrompeten, Semmelstoppler, Silberohren ...) mit tollen Konsistenzkontrasten und eine Sauce dazu, die vor Wohlgeschmack schier übergeht, ohne, wie sonst so oft, zu sirupartiger Dichte niederreduziert worden zu sein. Nachspeise ist auch grandios, aber das werden interessierte Esser eh bald selbst herausfinden wollen. Reservierung ist natürlich Pflicht, obwohl Zankl vorhat, immer einen Tisch für spontane Gäste zurückzuhalten. (Severin Corti, RONDO, 11.12.2015)