Bild nicht mehr verfügbar.

Zurückgepfiffen: Washington kritisierte die Entsendung türkischer Soldaten in den Irak ohne vorherige Zustimmung. Bei bilateralen Treffen in den vergangenen Wochen forderte US-Präsident Obama seinen türkischen Kollegen Erdoğan auch auf, die Grenze zu Syrien zu schließen.

Foto: Foto: AFP / Ozer

"Warum sind wir im Irak?", fragen sich die Türken, die den Rachefeldzug der Russen mit Wirtschaftssanktionen nach dem Abschuss einer Militärmaschine noch gar nicht verdaut haben. Mevlüt Çavuşoğlu, der türkische Außenminister, hat die Antwort. Wir sind doch schon längst mit Soldaten im Irak, erklärt der Minister als Studiogast bei einem Nachrichtensender, während die Uhr tickt. Dienstagabend lief das Ultimatum der irakischen Zentralregierung aus. Bis dahin musste die Türkei die wenigstens 150 Soldaten und 20 Panzer abziehen, mit denen sie am Samstag in den Nordirak eingerollt war, oder Bagdad bringt die Angelegenheit zunächst vor den UN-Sicherheitsrat.

Wachsende Bedrohung

Die Türkei bilde die Peschmerga, die Streitkräfte der kurdischen Regionalregierung im Nordirak, für den Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) an Waffen aus. Andere Staaten tun doch dasselbe im Nordirak, beruhigte Çavuşoğlu. Weil die türkischen Militärberater aber einer wachsenden Bedrohung ausgesetzt seien, habe man Verstärkung zu ihrem Schutz geschickt. Von einer türkischen Militärbasis in Baschika ist die Rede, mit möglicherweise mehr als 600 Soldaten, 30 Kilometer nördlich von Mossul, der zweitgrößten Stadt des Irak, die seit eineinhalb Jahren vom IS besetzt gehalten wird. Die iranische Nachrichtenagentur Fars verbreitete Bilder, die den Bau eines türkischen Luftwaffenstützpunkts zeigen sollen.

Um den "Islamischen Staat" gehe es dabei nur zum Teil, glauben Kommentatoren in der Türkei. Ebenso wichtig sei Ankara, der in der Türkei operierenden kurdischen Untergrundarmee PKK einen Riegel vorzuschieben. Die hat ihr Hauptquartier in den Kandil-Bergen im Nordirak. Mit dem Aufbau einer Militärbasis im Nordirak wäre die PKK von zwei Seiten bedrängt – von der türkisch-irakischen Grenze aus und von Mossul. Gleichzeitig könnte die türkische Armee ihre Präsenz gegenüber den Milizen der kurdischen PYD im benachbarten Syrien fühlbar machen, die mit der PKK verbunden und zum großen Ärger Ankaras von den USA militärisch unterstützt werden.

Die Entsendung des türkischen Kontingents nach Bashika war offenbar noch von der türkischen Übergangsregierung mit der kurdischen Führung im Nordirak verhandelt. Politisch ist das diskutabel: Die Interimsregierung, die nach den Parlamentswahlen im Sommer dieses Jahres gebildet worden war, hatte als Mandat lediglich die Fortführung der Regierungsgeschäfte und die Vorbereitung der neuerlichen Wahlen am 1. November.

Brief nach Bagdad

Schwerer ins Gewicht fällt aber, dass Ankara – trotz gegenteiliger Versicherungen – offensichtlich nicht die Zustimmung der irakischen Zentralregierung in Bagdad gesucht hat. Darauf lässt der rasch aufgesetzte Brief des türkischen Premiers Ahmet Davutoğlu an den irakischen Regierungschef schließen, sagt der türkische Sicherheitsexperte Hasan Selim Özertem. Es werde keine Stationierung von weiteren Soldaten in Bashika geben, bis die Einwände der irakischen Regierung beigelegt seien, versicherte Davutoğlu in dem Schreiben von Sonntagnacht. 350 Soldaten, die auf den Marschbefehl an der türkisch-irakischen Grenze warteten, sollen wieder abgezogen worden sein.

Der Streit um die Truppenentsendung sei eine Folge der in der Praxis unscharfen Autoritätslage im Irak, erklärt Özertem, ein Politikwissenschafter der Internationalen Organisation für Strategische Forschung (USAK) in Ankara. Abmachungen mit der kurdischen Regionalregierung in Erbil statt mit Bagdad zu treffen sei für die türkischen Diplomaten eben "übliche Geschäftspraktik".

Die USA haben die türkische Regierung schnell wieder zurückgepfiffen. Washington unterstütze keine ausländische Militärpräsenz im Irak ohne Zustimmung Bagdads, sagte der Sprecher des Pentagons.

Der Stopp der Truppenentsendung wurde am Dienstag nach einem Treffen zwischen Çavuşoğlu und seinem irakischen Kollegen Ibrahim al-Jafari bekräftigt. Die türkische Seite beharrt gleichwohl weiter auf den Verbleib des bereits verlegten Kontingents mit den Panzern. (Markus Bernath aus Istanbul, 8.12.2015)