Ammoniumdünger sind in der Landwirtschaft weitverbreitet. Sie binden gut und ernähren die Pflanzen. Allerdings ist Ammonium auch eine zentrale Verbindung im Stickstoffkreislauf, dessen Treiber Mikroorganismen sind – die Ammonium in zwei Schritten, der sogenannten Nitrifikation, umwandeln: Zunächst machen sie aus dem Dünger Nitrit, dann entsteht Nitrat. Nitrat bindet im Boden sehr schlecht und wird daher durch den Regen ausgewaschen und in Flüsse und Meere geschwemmt. Die Folgen: große Algenteppiche und sogenannte "Todeszonen" in den Meeren. Den Ozeanen geht der Sauerstoff aus.
Seit mehr als hundert Jahren war man der Meinung, dass diese "Nitrifikation" von zwei unterschiedlichen Mikroorganismengruppen betrieben wird – in friedlicher Arbeitsteilung. Michael Wagner und Holger Daims vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien haben nun mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF und des Europäischen Forschungsrats ERC herausgefunden, dass es auch einen Allrounder gibt, der beide Schritte zuwege bringt. Die Bakterien mit dem klangvollen Namen Nitrospira kennt man lange. Im besonderen Fall hat man sie in einem 1200 Meter tiefen Ölbohrloch in Russland entdeckt – aus dem kein Öl, sondern heißes Thermalwasser sprudelte.
Nitrospira sind weitverbreitete Nitritoxidierer. Dass manche davon offensichtlich Bakterien mit vielseitigen Fähigkeiten sind, die auch Ammonium oxidieren können, wurde allerdings übersehen. Mittlerweile konnten die Wissenschafter das Vorkommen der Allrounder in vielen Böden, Gewässern und in Kläranlagen nachweisen. In Ozeanen haben sie sie noch nicht gefunden.
Ein Jahrhunderträtsel
Damit scheint ein Jahrhunderträtsel der Mikrobiologie gelöst: Experten fragten sich schon lange, ob es nicht doch ein Bakterium geben könnte, das beide Stufen der Nitrifikation durchführt – zumal beide Umwandlungen Energiegewinnung möglich machen und daher nur Vorteile bringen. Antworten ergeben aber weitere Fragen, die sich erst jetzt stellen lassen: Wagner und sein Team werden nun untersuchen, ob Nitrospira als Bakterium mit vielseitigen Talenten gegen Hemmstoffe, die in der Landwirtschaft gegen Nitrifikation eingesetzt werden, anfällig ist.
Sie werden in weiteren Forschungsarbeiten auch analysieren, welchen Anteil die neu entdeckten Allrounder-Nitrospiren an der Nitrifikation bestreiten – und ob Nitrospira wie andere Bakterien auch Lachgas freisetzt. "Ein Klimagas wie Methan oder Kohlendioxid", wie Wagner betont.
Die Wiener Wissenschafter haben ihre Ergebnisse gleichzeitig mit Kollegen von der Radboud University Nijmegen in den Niederlanden im Fachmagazin Nature online publiziert, um einen unnötigen Wettlauf zu vermeiden. Die Printversion erscheint erst in den nächsten Wochen.
Michael Wagner und sein Team wollen nun auch erörtern, welche Bedeutung die neu entdeckten Allrounder-Nitrospiren in Kläranlagen haben. Hier werden ja Extrabecken angelegt, um derlei Bakterien zu züchten und Ammonium in Nitrat umzuwandeln. "Woran man sieht, dass nitrifizierende Mikroorganismen wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde sind: ein Lebewesen mit zwei Charakteren. Ihre Stoffwechselleistungen schaden der Umwelt in der Landwirtschaft und helfen der Umwelt in Kläranlagen ", sagt Michael Wagner, der in diesen Tagen übrigens mehrfach Grund zu Freude hat. Am kommenden Freitag erhält er zusammen mit Jiří Friml vom IST Austria den renommierten Erwin-Schrödinger-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. (Peter Illetschko, 9. 12. 2015)