Auf dem Trip zum "Great Ethiopian Run" erlebten wir Laufen auch in einer anderen Form: als afrikanischen Wirtschafts- und Hoffnungsträger – und als Markt, auf dem der Wert eines Menschen in Finisherzeiten gehandelt wird.

Foto: Thomas Rottenberg

Ein letztes Mal behellige ich Sie mit meiner Reise nach Äthiopien: Nach der Geschichte vom "Great Ethiopian Race" vor zwei Wochen und unserer Privataudienz bei Haile Gebrselassie gab es da aus der Laufgroupieperspektive noch ein drittes Highlight.

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Wir waren ja – ich habe es in der ersten Geschichte kurz erwähnt – nördlich von Addis Abeba in Gebrselassies "Yaya-Village" gefahren. Der Lauf-Superstar hat dort ein Feriendorf errichtet, das er gerade zum Höhen-Traininsgzentrum ausbauen lässt. Zielgruppe sind da vor allem europäische Läufer, die im äthiopischen Hochland nicht nur unter dem Signet "Haile" laufen wollen, sondern auch den (Kurzzeit) Rote-Blutkörperchen-Boost vom Laufen in 2.800 Metern Seehöhe mit in die Echtwelt nehmen wollen.

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Dass und wie das auch bei Jedermannsportlern funktioniert, habe ich selbst erlebt: Einen Tag nach meiner Rückkehr aus Äthiopien war ich in Hochgurgl Ski fahren. Mit einer Lage von 2.100 Metern über dem Meer gilt der Ort im Ötztal als "Höhenskiort" – und erfahrungsgemäß dreht es mir in solchen Höhen am ersten Skitag beim ersten Anstieg aus eigener Kraft nach ein paar leichten Schritten den Kreislauf und Co spürbar in Richtung "du machst jetzt mal Pause." Nix Schlimmes, nix Dramatisches – aber doch etwas, was man deutlich spürt.

Ich war gespannt – und wurde überrascht: Da kam nämlich nix. Und ein paar Tage später, bei den ersten Läufen zurück in Wien, war da bei (objektiv messbaren) Pulswerten und (subjektiv empfundener) Anstrengung immer noch ein eklatanter Unterschied zu spüren: Nett – aber eine ganz andere Geschichte.

Zum Sporteln nach Afrika

Foto: Thomas Rottenberg

Haile Gebrselassie ist aber hier, in den Hügeln über Addis Abeba, nicht der einzige Spitzensportler, der seinen Namen und seinen Ruf als Marke einsetzt, um Europäer zum Sporteln nach Afrika zu holen: Ein paar hundert Meter neben Hailes Resort liegt das von Bekele Kenenisa. Auf den ersten, kurzen Blick bietet es weniger Club-Ambiente als das Yaya-Resort. Dafür ist bei Bekele die Lauf-Anlage schon fertig: Die 400-Meter-Bahn, die da "in the middle of nowhere" in die Landschaft gesetzt wurde, ist in einem Zustand, von dem Leichtathleten in Österreich oft nur träumen können.

Dass der Fußballplatz im Inneren noch ein bisserl eine G´stetten ist, könnte ich da zwar als ausgleichende Gerechtigkeit bezeichnen – aber: ich gönne jedem Sportler perfekte Trainingsbedingungen. Gerade weil ich weiß, wie elend es ist, wenn die Infrastruktur nicht passt. (Dennoch ist der Fußballplatz bei Bekele immer noch weit besser beinand, als die meisten Bolzplätze, die ich sonst in Addis gesehen habe – nur: bei Bekele wird vorrangig gelaufen.)

Aber auch das Lamento über das Stiefkinddasein der Leichtathletik in Österreich ist eine andere Geschichte.

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Als wir uns in Bekeles Resort kurz umsahen, mit einer japanischen Lauf-Gruppe blödelten und der Organisator unseres Trips, der Triathlon- und Lauftrainer Harald Fritz, erwähnte, dass er überlege, Lauf- und Tri-Camps in Afrika zu organisieren, war der Resortmanager sofort Feuer und Flamme. Er gab uns eine Handynummer: Die von Bekele Kenenisa. Der sei am Nachmittag in seinem Hotel im Zentrum von Addis – wir sollten doch einfach anrufen.

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Ich habe es vorletzte Woche schon geschrieben: Bei Kenenisa anzurufen und zu fragen, ob er kurz Zeit habe, ist für Läufer in etwa so, als würde eine Partie Hobbykicker einer Altherrenrunde, die einmal pro Woche am Dorfplatz kickt, bei Messis Privatnummer anrufen. Weil man grad mit einer Busrundreise in Spanien sei. Bekele ist "dreifacher Olympiasieger und ehemaliger Weltmeister über 10.000 und 5000 Meter, Inhaber der Weltrekorde über 10.000 und 5000 Meter (Stand Dezember 2013) sowie sechsfacher Weltmeister im Crosslauf über die Langstrecke" listet Wikipedia trocken auf. Den Rest dürfen Sie sich selbst ergoogeln: Es ist mehr als eindrucksvoll. Auch für Nicht-Freaks.

Thomas Rottenberg

Bekele Kenenisa hob nicht nur ab – er lud uns auch sofort ein, in sein Hotel (die äthiopischen Stars dürften ihr Geld recht schlau anlegen) zu kommen. Und er nahm sich Zeit zum Plaudern. Etwa darüber, dass es dann, wenn man ganz oben steht erst so richtig spannend werde – weil man ja selbst nie wisse, wie lange man der Welt, aber vor allem sich selbst, noch zeigen und beweisen könne, dass man der beste sei.

Oder wie es sich angefühlt habe, als er das erste Mal Haile Gebrselassie geschlagen habe (auf Videos sieht man, wie Bekele richtiggehend zögert, an Gebrselassie vorbeizuziehen). Und was es mit den äthiopischen Sportplänen auf sich habe.

Der äthiopische "Läufer-Fleischmarkt"

Foto: Thomas Rottenberg

Nett. Und für "Hobetten" wie uns erhebend. Aber nicht weltbewegend. Das war uns schon klar. Aber da war noch etwas: Während wir auf Bekele warteten, riss es Harald Fritz plötzlich aus dem Sessel. "Das ist jetzt aber nicht wahr", entfuhr es ihm. Dann zeigte er auf einen Weißen, der in der Sitzgruppe nebenan in ein allem Anschein nach sehr intensives Gespräch mit einem Afrikaner im Businessanzug vertieft war. "Liebe Leute, der Mann dort, das ist Volker Wagner. Der Manager aus 'Runner's High', dieser TV-Reportage über den afrikanischen Läufer-Fleischmarkt."

Video Runner's High auf ZDF.de

Ich hatte "Runner's High" (die Kurzfassung von "Long Distance") bis dahin noch nicht gesehen. Aber da die Reportage des deutschen Dokumentarfilmers Daniel Sager im November im ZDF gelaufen war, hatten einige andere in unserer Gruppe den preisgekrönten Film natürlich noch auf dem Schirm: Sager begleitet darin eine Gruppe afrikanischer Läufer auf ihrem Weg in eine – hoffentlich – glorreiche und finanziell lohnende Zukunft.

Eine zentrale Rolle spielen darin jene Manager, die die Läuferinnen und Läufer in Afrika entdecken – und zu großen und mittelgroßen Wettkämpfen nach Europa holen. Ihr Lohn: Prozente der Preisgelder.

Thomas Rottenberg

Volker Wagner ist einer dieser Manager. Und in "The Long Distance" lässt er sich ziemlich genau und ungeschminkt in die Karten schauen: Auf der einen Seite ist da der Macher. Ein Investor, der "Rohdiamanten" sucht, findet – und schleift. Es geht um Geld und Gewinne. "Das ist Handel mit warmem Fleisch", hatte Harald Fritz umrissen.

Auf der anderen Seite ist da aber auch jemand zu sehen, der in einem von der Angst vor (Wirtschafts-)Migranten geprägten Europa, Menschen eine Chance gibt, die sie sonst gar nicht bekämen – und dafür finanziell für jeden Läufer und jede Läuferin beträchtliche Vorleistungen und Haftungen liefern muss: Ein ambivalentes Bild.

Dieser Mann saß also am Nachbartisch. Als Wagners Gesprächspartner kurz telefonierte, ging ich hinüber, stellte mich vor – und nutzte die Zeit, die das läutende Handy von Wagners Geschäftsfreund dem deutschen Manager und mir verschafft hatte: Zwei Minuten waren es. Weniger geht kaum. Und dennoch war es ein Blick in eine andere, fremde Galaxie.

Dabei geht es in Wagners Welt doch um das Gleiche wie in meiner: ums Laufen. Die einfachste Sache der Welt. (Thomas Rottenberg, 10.12.2015)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Reise wurde privat bezahlt, Ethiopian Airlines spendierte ein Upgrade.