Bild nicht mehr verfügbar.

Kanadas neuer Regierungschef Justin Trudeau (Zweiter von rechts) traf sich in Quebec mit Vertretern der Ureinwohner und kündigte an, ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit aufschlagen zu wollen.

Foto: Adrian Wyld /The Canadian Press via AP

Ottawa/Wien – Mit dem Satz "Weil es 2015 ist" hat Kanadas neuer Premier Justin Trudeau begründet, dass sein Regierungsteam zur Hälfte aus Frauen besteht und ihm mit Justizministerin Jody Wilson-Raybould auch eine Indigene angehört. Weil es eben 2015 ist, kündigte der Premier bei der Zusammenkunft der "First Nations"-Häuptlinge in Quebec auch einen Neuanfang in der Zusammenarbeit mit den kanadischen Ureinwohnern an.

Den Beginn soll eine jahrelang geforderte nationale Untersuchung des Verschwindens und der Ermordungen indigener Frauen machen. Umgerechnet 27 Millionen Euro wird die Regierung dafür in den kommenden zwei Jahren aufwenden. Ein Ende der Untersuchung soll es aber erst geben, wenn Ergebnisse vorliegen, wie solche Verbrechen in Zukunft verhindert werden können.

Es geht um die Ermordung oder das Verschwinden von fast 1.200 Frauen in den vergangenen drei Jahrzehnten. Obwohl die Ureinwohnerinnen nur etwa vier Prozent der weiblichen Bevölkerung Kanadas ausmachen, sind 16 Prozent der Mordopfer Indigene. Laut Statistik sind Angehörige der First Nations, Inuit und Métis auch dreimal öfter von Gewaltverbrechen betroffen als der Rest der Bevölkerung.

Untersuchungen ohne Taten

Bei Trudeaus Vorgänger Stephen Harper war die Forderung nach einer Untersuchung auf taube Ohren gestoßen. Zwar gab es immer wieder Untersuchungen zur Lage der Indigenen weltweit wie einen 4.000-seitigen Bericht der Königlichen Kommission zu Aborigines aus dem Jahr 1996 oder Nachforschungen der Kommission für vermisste Frauen im Bundesstaat British Columbia im Jahr 2012, doch die internationalen Verbesserungsvorschläge wurden in Kanada nie umgesetzt.

"Es wurden bereits viele Hausaufgaben erledigt", wird Mag Cywink im "Guardian" zitiert, deren Schwester Sonya 1994 umgebracht wurde. Die indigene Frau will, dass die Regierung endlich Taten setzt: "Eine Untersuchung kann mir meine Schwester nicht zurückbringen. Und ich will nicht, dass so etwas meinen Nichten, Enkeln und Urenkeln passiert."

Auch die Uno hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt. 2014 hatte der Sonderberichterstatter für die Rechte Indigener in einem Bericht darauf hingewiesen, dass es zwar lobenswerte lokale Initiativen wie eine interne Arbeitsgruppe der Polizei in Ontario gebe, aber noch keine landesweiten Aktionen gesetzt wurden.

Diskrepanzen in Statistik

Nach einer Recherche des "Toronto Star", bei der die öffentlich verfügbaren Informationen zu mehr als 750 Mordfällen untersucht wurden, deckte die Zeitung Diskrepanzen bei der Statistik der Polizeibehörden auf. Offiziell wurden 88 Prozent aller Morde an indigenen Frauen gelöst – die Recherche ergab aber einen Wert von rund 70 Prozent. 180 ungelöste Fälle zwischen 1980 und 2012 machten die Journalisten ausfindig – die Polizei nennt 120. Eine Erklärung dafür erhielt die Zeitung nicht.

Ein Zeichen dafür, dass die nun angekündigte Untersuchung nicht in den Schubladen Ottawas verschwindet, könnte sein, dass zum ersten Mal die Familien der Opfer und Angehörige indigener Volksgruppen befragt werden. Justizministerin Wilson-Raybould sagte, dass in den kommenden zwei Monaten deren Meinungen eingeholt werden, um die Form, den Fokus und die Parameter der Untersuchung festzulegen. Die tatsächliche Arbeit soll dann im Frühling beginnen. (Bianca Blei, 9.12.2015)