Randy Schekman, Professor an der staatlichen Uni in Berkeley, sieht in den USA die öffentliche Förderung von Unis und Forschung in Gefahr: "Das ist eine nationale Tragödie."

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STANDARD: Sie haben vor genau zwei Jahren in Stockholm den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erhalten. Wie sehr hat sich Ihr Leben dadurch verändert? Und haben Sie noch Zeit zum Forschen?

Schekman: Mein Leben hat sich durch den Preis natürlich verändert. Ob zum Besseren, kann ich nicht wirklich bestätigen. Dank des Nobelpreises habe ich mehr Einfluss, und ich habe mich dafür entschlossen, diesen Einfluss für Open Access und eine andere Form von Wissenschaftsjournal zu nützen. Die meiste Zeit verbringe ich seit Ende 2012 ohnehin als Herausgeber des Magazins eLife. Mein Labor ist aber auch noch aktiv, ich forsche, und wir arbeiten auch an einem spannenden Projekt. Aber ich reise seit Ende 2013 eindeutig zu viel.

STANDARD: Worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt?

Schekman: Man weiß heute, dass Säugetierzellen nicht nur Proteine produzieren, sondern auch RNA, die wiederum in Membrane verpackt ist. Diese kleinen Transportfähren finden sich auch im Blut, und sie dürften etwas mit der Metastasenbildung bei Krebs zu tun haben. Wir finden gerade heraus, wie diese kleinen Fähren RNA verpacken, um sie quasi aus der Zelle herauszuschmuggeln.

STANDARD: Sie haben auch Ihr Nobelpreisgeld der Universität von Kalifornien gespendet, um damit eine Professur für Krebsgrundlagenforschung zu finanzieren – auch im Andenken an Ihre Mutter und Ihre Schwester, die an Krebs gestorben sind. War das die einzige Motivation?

Schekman: Nein. Ich arbeite an der Universität Berkeley, einer staatlichen Universität, und habe auch die meiste Zeit meiner Ausbildung an solchen Unis verbracht. In Europa ist das nichts Besonderes, aber in den USA haben private Unis das meiste Geld und den meisten Einfluss, auch wenn 70 Prozent der jungen Leute an öffentlich finanzierte Hochschulen gehen. Mir liegt sehr viel daran, dass öffentlich finanzierte Universitäten besser unterstützt werden, zumal es auch immer schwieriger wird, die besten jungen Leute hierherzuholen. Und die Einrichtung dieses Lehrstuhls ist mein kleiner Beitrag dazu – auch um reichere Leute dazu zu bringen, etwas zu spenden.

STANDARD: Das scheint an den US-Unis ein unaufhaltsamer Trend zu sein: mehr privat, weniger Staat.

Schekman: Das stimmt. Als ich in den späten 1960er-Jahren an der UCLA studierte, kamen 80 Prozent des Budgets der University of California vom Staat, heute sind es etwa zehn Prozent. Eine Folge davon ist, dass die Studiengebühren explodiert sind: Damals war das Studium so gut wie gratis, heute kostet es rund 13.000 Dollar pro Jahr. Das ist eine Tragödie!

STANDARD: Im Vergleich zu den Studiengebühren an US-Privatuniversitäten ist es aber immer noch fast geschenkt.

Schekman: Das stimmt. Und entsprechend gibt es enorme demografische Unterschiede zwischen den Studierenden an diesen Unis und der immer noch staatlichen University of California: Eine Drittel unserer Studenten kommt aus Familien mit einem Haushaltseinkommen unter 40.000 Dollar. Und etwa genauso viele sind die ersten in ihrer Familie, die einen Hochschulabschluss erwerben. An der privaten Stanford University kann man solche Studenten praktisch an einer Hand abzählen. Öffentliche Unis waren in den USA lange jene Einrichtungen, die für soziale Mobilität gesorgt haben. Das ist heute ernsthaft in Gefahr. Und das motiviert mich mehr als alles andere, sogar mehr als Open Access.

STANDARD: Betrifft diese mangelnde Unterstützung auch die Forschung?

Schekman: Absolut. Die Budgets der National Institutes of Health und der National Science Foundation, die beide Grundlagenforschung fördern, sind in den vergangenen Jahren stetig gesunken, was wiederum dazu führt, dass immer weniger begabte junge Menschen in der Wissenschaft bleiben. Deshalb sind wir immer mehr auf Dissertanten aus dem Ausland angewiesen, insbesondere aus China. Nur gehen die immer öfter zurück, weil sie in China mittlerweile bessere Karrierechancen haben. China gibt mehr Geld für Forschung aus als die USA, und auf diese Weise werden wir mittelfristig an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

STANDARD: Was halten Sie von Drittmitteln aus der Industrie für staatliche Unis? Darüber wurde bei Ihnen in den letzten Jahren doch sehr heftig gestritten.

Schekman: Das liegt an der linken Tradition von Berkeley insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften, die solchen Drittmitteln extrem negativ gegenüberstehen. Ich habe da eine andere Meinung. Das Hauptproblem sehe ich darin, dass man sich mittelfristig nicht darauf verlassen kann. Wir hatten beispielsweise ein Forschungsprogramm von BP zu Biotreibstoffen mit einer halben Milliarde US-Dollar. Nach ein paar Jahren stellte BP dieses Programm einfach wieder ein. In meinem Bereich haben wir etliche Leute, die ihre Firmen gründeten, und wir halten eines der wertvollsten Patente zur Immuntherapie gegen Krebs. Eines der nächsten Patente wird wohl das auf die Crispr-Cas9-Technik sein, das von meiner Kollegin Jennifer Doudna angemeldet wurde. Das würde für Berkeley Einnahmen in Milliardenhöhe bedeuten.

STANDARD: Während Sie in Wien sind, findet gerade in Washington eine große Konferenz über diese Revolution in der Gentechnik durch Crispr-Cas9 statt, weil das Verändern von DNA so viel billiger und genauer wird. Was halten Sie davon?

Schekman: Die Möglichkeiten dieser Technik sind schier grenzenlos. Es gibt natürlich berechtigte ethische Bedenken, diese Techniken für Veränderungen der menschlichen Keimbahn einzusetzen. Aber in der grünen Biotechnologie kann Crispr-Cas9 zu einer Revolution führen.

STANDARD: In Europa sieht man die grüne Gentechnik seit jeher sehr kritisch. Können Sie diesen Bedenken etwas abgewinnen?

Schekman: Es ist zum Glück in den USA weniger schlimm. Ich halte die Bedenken gegen Gentechnik für eine irrationale und unbegründete Angst. Diese Haltung findet sich sehr viel stärker bei den Linken als bei den Rechten, die eigentlich viel wissenschaftsfeindlicher sind. Aber in dem Fall sind es die Linken. Ich hoffe, dass die Crispr-Cas9-Technik einige dieser Bedenken zerstreuen kann.

STANDARD: Werden Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier dafür den Nobelpreis erhalten?

Schekman: Ich hoffe es für die beiden. Aber je mehr ich über die Vergabe der Nobelpreise erfahre, desto weniger gut prognostizierbar scheinen mir die Gewinner. Ich kenne so viele Forscher, die extrem wichtige Entdeckungen gemacht haben und ihn dann doch nie gewonnen haben. Es gibt einfach viel zu viele Leute, die ihn verdienen. Die Entdeckerinnen von Crispr-Cas9 gehören aber gewiss dazu.

STANDARD: Wenn Sie heute noch einmal anfangen könnten, worüber würden Sie forschen wollen?

Schekman: Sicher nicht das, was ich mein Leben lang machte, also Zellbiologie und die Transportprozesse innerhalb von Zellen. Ich finde, dass die Neurowissenschaften ein extrem spannendes und vielversprechendes Gebiet sind, wo es phantastische Möglichkeiten gibt und man noch große Entdeckungen machen kann. (Klaus Taschwer, 9.12.2015)