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Nach zweieinhalb Jahren Verhandlung wirkte die Hauptangeklagte Beate Zschäpe bei der Verlesung ihrer Aussage durch ihren Anwalt gelöster und erleichterter als in den Prozesstagen davor.

Foto: APA/dpa Pool/Tobias Hase

Am Morgen steht eine lange Warteschlange vor dem Eingang des Münchner Justizzentrums. Die Menschen wollen hören, was die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe zu sagen hat. Zwischendurch quetschen sich Angehörige der zehn Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) durch. Gamze Kubasik etwa, die Tochter des am 4. April 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbetreibers Mehmet Kubasik. Schon seit langem sagt sie: "Ich möchte wissen, warum er sterben musste."

Die Antwort aber, die sie und die anderen in der eineinhalbstündigen Verlesung erhalten, ist bescheiden. Im Kern lässt die 40-jährige Beate Zschäpe ausrichten: An den zehn Morden – die Opfer waren neun Einwanderer, die kleine Läden betrieben hatten, und eine Polizistin – sei sie nicht beteiligt gewesen, erst danach habe sie jeweils davon erfahren und sei dann regelrecht "entsetzt" gewesen, "geschockt" über die "unfassbaren Taten".

"Letzte Wünsche" von Mundlos und Böhnhardt

Die beiden Männer aber, die angeblich allein zu den Tatorten gefahren sind, ihre Opfer erschossen und danach auch noch fotografierten, können nichts mehr dazu sagen. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen sich selbst, als sie am 4. November 2011 kurz davor waren, geschnappt zu werden. Und Zschäpe, mit der die beiden fast 14 Jahre lang im Untergrund gelebt hatten? Sie sollte, so seien deren "letzte Wünsche" gewesen, das zynische Paulchen-Panther-Bekennervideo verschicken sowie die Wohnung in Zwickau "abfackeln". Zschäpe hat es getan.

Die Angeklagte, die jetzt zumindest indirekt ihr Schweigen bricht, ist umrahmt von ihren beiden neuen Verteidigern Hermann Borchert und Mathias Grasel. Grasel liest sehr verständlich und mit fester Stimme. Eine Mischung aus Unglauben und Schauder geht immer wieder durch die Zuhörerreihen. Denn Zschäpe versucht sich an der völligen Reinwaschung der eigenen Biografie von den ihr zur Last gelegten Straftaten.

Drama von Liebe

Die größte rechtsradikale Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik ist für sie eher ein Drama von Liebe, Gefühlsverwirrungen und langen Zeiten der Langeweile. Als sie etwa von den Morden an Abdurrah Özüdogru und Süleyman Tasköprü in Nürnberg und Hamburg im Juni 2001 erfahren haben will, sei sie "sprachlos und fassungslos" gewesen. Mundlos und Böhnhardt hätten ein ausländerfeindliches Motiv genannt. Zschäpe aber sei in einem "emotionalen Dilemma" gewesen: "Ich war von den Taten abgestoßen, aber zu Uwe Böhnhardt hingezogen." Er war ihr Freund, zuvor war sie mit Uwe Mundlos zusammen gewesen.

In der Gruppe sei es dann oft "eisig" zugegangen, man habe sich "stundenlang angeschwiegen". Jeder habe sein eigenes Zimmer gehabt, gesehen habe man sich oftmals nur zu den Mahlzeiten. Die Zeit habe sie hauptsächlich mit Computerspielen zugebracht. Auf die beiden Uwes habe sie oft "stundenlang eingeredet, nicht mehr zu morden". Passiert ist es dann allerdings immer wieder.

Für zwei Pistolen getötet

Immerhin sind Mundlos und Böhnhardt damit von ihr erstmals klar als Täter benannt worden, die auch für die beiden Kölner Nagelbombenattentate und für die Überfälle verantwortlich sind. Neu ist das Tatmotiv des Polizistenmordes von Heilbronn, bei dem Michèle Kiesewetter getötet und ihr Kollege schwer verletzt wurde. "Es ging ihnen nur um die Pistolen der beiden", sagt Zschäpe. Die anderen NSU-Waffen hätten immer wieder Ladehemmungen gehabt. Mundlos und Böhnhardt hätten getötet, "um zwei gute Pistolen zu bekommen".

Zschäpes Aussage ist maßgeschneidert auf die einzelnen Anklagepunkte der Bundesanwaltschaft. Nach ihrer Version hat sie sich an überhaupt nichts schuldig gemacht, gutgeheißen hat sie allenfalls die Banküberfälle. Nach der Erörterung jeder einzelnen Tat ergänzt sie pflichtschuldig den Spruch, sie sei an dem Geschehen "weder bei der Vorbereitung noch bei der Durchführung beteiligt" gewesen.

Uwe und Uwe seien für sie "wie eine Familie gewesen". Im Untergrund habe sie immer Angst vor Verhaftung, vor dem Tod der beiden gehabt und davor, dass sie Böhnhardt nicht mehr wiedersehe. Währenddessen "brüsteten" sich die Terroristen etwa damit, sie hätten "vier weitere Ausländer umgelegt". Dabei seien die beiden "zuvorkommend und tierlieb" gewesen. Auch den Anklagepunkt, Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein, lässt Zschäpe nicht gelten: "Ich war kein Mitglied eines Vereins mit Namen NSU."

Zu den Angehörigen sagt sie, sie fühle sich "moralisch schuldig". Und sie entschuldige sich "aufrichtig bei allen Opfern und den Angehörigen". Die für Donnerstag vorgesehene Verhandlung wurde abgesetzt, der nächste Termin ist der 15. Dezember. (Patrick Guyton aus München, 9.12.2015)