"Ich schreibe News in fiktive Situationen um", so beschreibt die ungarische Künstlerin Júlia Végh die Herangehensweise bei ihren Fotoübermalungen, die derzeit im Essl-Museum zu sehen sind.


Foto: Júlia Végh

Klosterneuburg – Eine Frau wird mit dem Gesicht brutal gegen die Glasscheibe einer Lifttür gedrückt – so suggeriert es ein Video, das hinter dieser Scheibe läuft. Secrets (2014) nennt sich die Installation des bulgarischen Künstlers Angel Chobanov (geb. 1983), die aus drei verschlossenen Türen einen beklemmenden Raum formt und sich äußerst direkt mit häuslicher Gewalt auseinandersetzt.

In unmittelbarer Nähe, so dass der Blick der gepeinigten Frau aus dem Video darauf fallen könnte, erstrecken sich Tableaus aus dicht nebeneinandergepickten Kaugummistreifen respektive dem dazugehörigen Silberpapier: Die slowenische Künstlerin Ana Jagodic (geb. 1992) interessiert sich in ihrer humorvoll-minimalistischen Kunst für Massenprodukte und deren maschinelle Herstellung. Andere ihrer Bilder reihen hunderte von falschen Wimpern oder Fingernägeln auf.

Diesem dissonanten Duett aus Kaugummipapierln und Gewalt begegnet man derzeit im Essl-Museum. In seiner Widersprüchlichkeit ist es recht bezeichnend für die Ausstellung Diversity of Voices, in der die Preisträger des Essl Art Award CEE 2015 präsentiert werden: Der seit 2005 biennal vergebene Kunstpreis richtet sich an Künstler aus nunmehr acht zentral- und südosteuropäischen Ländern, wobei pro Land jeweils zwei Positionen ausgewählt wurden. Und so strapaziert das Wort "Diversität" auch sein mag: Die gezeigten Arbeiten und Werkgruppen machen dem Begriff alle Ehre.

Zwischendurch mag man auch an Peter Weibels Aussage denken, dass westliche Künstler von ihren östlichen Kollegen wohl noch einiges lernen könnten. So erklärte es Weibel anlässlich der Ausstellung Mapping Bucharest im Sommer. Rau, direkt und mitunter kompromisslos Position beziehend präsentierte sich dort die rumänische Kunst.

Nicht um den heißen Brei herum redet im Essl-Museum etwa Kristián Németh bei seiner Kirchenkritik. Seine Installation Let the little children come to me (2011) besteht aus einem Foto, auf dem ein Pfarrer einem Mädchen den "Leib Christi" in den Mund legt. Darunter liegen Hostien, auf denen Lilien abgebildet sind: Symbole der Unschuld, denen allerdings jeweils ein Blatt fehlt. Recht unzweideutig auch Deformation, worin eine phallisch verbogene Erstkommunionskerze zum Symbol für die "moralische Deformation" der Kirche wird.

Ungleich poetischer Némeths Fragile (2011): Die Installation besteht aus aufeinandergetürmten Kristallgläsern und vermittelt ein Gefühl für die Schönheit der Dinge, wenn sie am Kippen sind. Ein zarter Faden spinnt sich zu Dániel Bernáths Arbeit Sense of Common (2012), der aus den Samen der Pusteblume einen höchst zerbrechlichen Würfel konstruiert hat.

Die Schönheit des Fragilen

Ein Gefühl für die Schönheit des Fragilen, geben aber auch die Arbeiten von Peter Sit (geb. 1991): Weightiness of the conscience of the world, an inability of the soul to breathe (2013) nennt sich eine Fotoserie, für die er fragile Arrangments aus Alltagsgegenständen schuf: Er stellte etwa ein Wasserglas auf die sich auffächernden Seiten eines aufgestellten Buches.

Humor zeigt sich etwa in Sits Videominiatur Space Invaders (2015). Darin wird ein mysteriöses, mit einer weißen Plane verdecktes Objekt im ruralen Niemandsland zum Raumschiff, aus dem drei "Außerirdische" aussteigen. Die Weltentrücktheit der Szene wird jäh von einem vorbeifahrenden Auto zerrissen.

Ins Niemandsland entführen auch Fototableaus von Neven Petrovic. Der kroatische Künstler richtet die Kamera auf Zwischenräume und übersehene Gegenden am Stadtrand. Wie intime Szenen in solchen weiten Landschaften aussehen können, zeigt indes die rumänische Künstlerin Irina Ghenu, die sich für ihren Weblog etwa inmitten eines Maisfelds inszenierte. (Roman Gerold, 9.12.2015)