Tuch überm Kopf bedeutet Sendepause. Hier für Pippa Galli alias Pi.


Foto: Daniel Wolf

Wien – Die Krise als Chance. Das klingt abgedroschen und schwer nach Euphemismus. Aber Jammern andererseits bringt auch nix. Anfangen heißt also Thomas Kampers Stück, das derzeit im Theater Drachengasse zu sehen ist. Für den vormaligen Volkstheater-Schauspieler, der dabei als Autor und Regisseur in Erscheinung tritt, ist es ein Wieder-Anfang: Seit 2001 schrieb und inszenierte er mehrere eigene Stücke (u. a. Jukebox), dann kam ihm die Ensemblearbeit (2005-2015) dazwischen. Die ist jetzt aber Geschichte, eigene Stückentwicklungen sollen die Zukunft sein.

Es ist ein tatkräftigerer Anfang, als er ihn seinen Figuren gönnt. Drei Schauspielerinnen, die nicht besetzt wurden (den kleinen Seitenhieb wollte Kamper sich wohl nicht verkneifen; per Hörspiel ist man im Vorzimmer des Vorsprechens live mit dabei), beschließen, sich aus der Welt zurückzuziehen. Sie wollen so ihren Unmut mit deren System zu erkennen geben und ihm mit von der Distanz geschärftem Blick dann etwas entgegensetzen. Denn: "Draußen ist das Geld, und das Geld ist die Lüge", klagen die feinsinnigen Künstlerinnenseelen.

Hier drinnen bei ihnen ist jedenfalls kein Geld. Und so finden sich die drei Möchtegern-Diven in einer Wohnküche mit Klo am Flur wieder. Mit dem Charme der pragmatischen Vorläufigkeit, die noch glaubt, dass sich die Dinge ändern, gar bessern, werden, hat Mathias Lenz die kleine Bühne hergerichtet. Als Zier des Substandards weiß Pi (Pippa Galli) hier mit inbrünstiger Grazie die Bohnen für den Kaffee, der später am Campingtisch getrunken werden soll, zu mahlen. Oder das Pulver von den dazu gereichten Kartoffelchips zu lecken.

Nobel geht die Welt zugrunde

Nicht minder fein die Umgangsformen von Li (Michaela Hurdes-Galli), die – ganz Dame von Welt und prämierte Schauspielerin von Wien – vor der Tür speibt, weil sie ihre Zigaretten auf leeren, aber weingefüllten Magen nicht verträgt. "Nüchtern zu sein ist auch eine Erfahrung", notiert sie sich später auf einem Pappteller, findet aber offenbar keinen rechten Gefallen daran.

Und dann wäre da noch Lu (Julia Schranz), die mit reschem Charme ihr blumengemustertes Kleid lüftet, wenn sie breitbeinig ihren Platz und Tee mit Milch einnimmt. Neuerdings ist sie auch noch obdachlos, weil sie ihre Wohnung abgefackelt hat. Ohne Bedauern. In ihr Skizzenbuch malt sie Räume, die sie nicht anzünden kann. Wer gibt der Brandstifterin Herberge?

Was die drei im Leben Übriggebliebenen als heroischen Akt erträumen, wird über all dem immer mehr zur Nebensächlichkeit und sie fügen sich ins untätige Zeitvergehen. "Jetzt wird es kompliziert", heißt es nach einer Stunde. Dann ist das komödiantische Trauerspiel allerdings vorbei und passiert ist scheinbar nicht viel. – Welche ist das Gegenstück zur Tat? Die Untat oder die Untätigkeit?

Pate gestanden dafür haben Anton Tschechows Drei Schwestern (1901) und deren Traum vom besseren Leben, zu dessen Inangriffnahme jenen aber der Antrieb fehlt. Es war seine Kritik an der Unproduktivität und Wartehaltung der Intelligenzija. Ein Lehrstück, wie man es zu allen Zeiten brauchen kann. (Michael Wurmitzer, 9.12.2015)