Mit Irreligion gegen Religion antreten: In Island feiert ein verzerrter Polytheismus sein unerwartetes Comeback.

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Wien/Reykjavik – Die Trennung von Kirche und Staat kennen die Isländer nur aus zweiter Hand. "Die evangelisch-lutherische Kirche soll die Staatskirche Islands sein und als solche soll sie vom Staat unterstützt und geschützt werden", steht in Paragraf 62 der Verfassung. Doch auch die anderen der über 40 in dem Inselstaat anerkannten Glaubensgemeinschaften profitieren vom "sóknargjald", einer Einkommensteuer in der Höhe von monatlich 824 Kronen (rund 5,80 Euro), die der Staat von Erwerbstätigen einbehält und anteilig an die religiösen Vereinigungen ausschüttet.

Bis 2009 konnten Konfessionslose ihre Pflichtabgabe der Universität von Island widmen. Seither behält der Staat ihre Gelder aber ohne Zweckwidmung ein. Während Gläubige etwa in Form von Seelsorge oder Messen einen Teil ihres Betrags indirekt zurückbekommen, geht das Geld von Agnostikern und Atheisten also zur Gänze an den Fiskus. Das ließ den Widerstand unter den bekenntnislosen Isländer in den vergangenen Jahren wachsen. Laut einer im September durchgeführten Umfrage spricht sich eine Mehrheit von 55 Prozent der Bevölkerung für eine stärkere Säkularisierung aus.

Islam und Buddhismus in wenigen Tagen überholt

2012 deklarierten sich 31 Prozent der Isländer als "nicht-religiöse Person"; weitere zehn Prozent bezeichneten sich explizit als Atheisten. 57 Prozent behaupteten, "eine religiöse Person" zu sein, doch deutlich mehr, 73 Prozent der rund 330.000 Einwohner Islands, bekennen sich zur evangelisch-lutherischen Staatskirche – anders als in Österreich birgt ein Austritt aber auch keinen finanziellen Nutzen.

An zweiter Stelle folgen mit 3,6 Prozent die Katholiken, knapp dahinter die städtischen Freikirchen Reykjaviks und Hafnarfjörðurs sowie die Unabhängige Kongregation. Zur sechstgrößten Glaubensvereinigung des Landes wuchs nun innerhalb weniger Tage ein ausgestorbener Vielgötterkult aus dem Gebiet des heutigen Irak: der nach dem sumerischen Wettergott Anzu benannte Zuismus.

Die Bewegung "Zúistar á Íslandi" wurde 2013 mit dem offen artikulierten Ziel gegründet, "dass die Regierung alle Gesetze abschafft, die religiösen Organisationen gegenüber anderen Organisationen finanzielle oder sonstige Privilegien zugesteht".

Als zentrales Zeichen des Protests wollen die Zuisten den ihnen zustehenden Anteil des "sóknargjald" gleichmäßig auf ihre Mitglieder aufteilen – oder in anderen Worten: zurückerstatten. Nur Gebühren für die Buchhaltung und einen Rechtsanwalt würden abgezogen.

Über 6.000-prozentiger Mitgliederzuwachs

In der Religionsstatistik für das laufende Jahr wird der Zuismus noch mit fünf Mitgliedern ausgewiesen. Wegen Inaktivität drohte sogar die Auflösung. Seit Mitte November aber machte das Wort vom Steuerprotest die Runde und sorgte für einen sprunghaften Mitgliederzuwachs. Mit 1. Dezember wies das Register 3.130 eingetragene Zuisten aus – ein Vielfaches der rund 900 Muslime oder der rund 1.000 Buddhisten in Island.

Ob der Anstieg in den ersten Dezembertagen anhielt, weiß Sveinn Þórhallsson, ein Sprecher der Bewegung, nicht. "Das ist einer der Aspekte, die im Religionssystem Islands falsch laufen. Nicht die Glaubensgemeinschaften selbst, sondern der Staat behält den Überblick über den Mitgliederstand. Wir müssten bezahlen, um die tagesaktuellen Daten zu erhalten", sagt Þórhallsson, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet, zum STANDARD. Dabei solle sich gerade der Staat aus der Registrierung und der Abgabenverwaltung heraushalten.

Wenn die Zuisten dieses Ziel erreichen und das System "sóknargjald" zu Fall bringen, wollen sie sich selbst auflösen, sagt Þórhallsson. Daran hat die Regierung in Reykjavik aber gar kein Interesse. Im Gegenteil. Konvertiten sollen sich vielmehr vom Zuismus wieder lossagen, rief jüngst Stefán Bogi Sveinsson von der regierenden Fortschrittspartei auf. Denn sie würden ihren Glauben nicht wirklich praktizieren und nur monetäre Motive verfolgen.

Warum Sie an ihren Gott glauben

Die antiken Mythen der Sumerer haben die Zuisten ohne besonderen Grund zur Hauptlehre gewählt, sagt Þórhallsson. Genauso gut hätte die Gestalt des Satan oder das Fliegende Spaghettimonster zum Anbetungsobjekt werden können. "Aber die Behörden akzeptieren nicht jede Glaubensrichtung. Es gibt Vorgaben, die eine Religion erfüllen muss. Die Interpretation und die letzte Entscheidung liegt aber bei Beamten – die üblicherweise einen christlichen Hintergrund haben."

Warum ausgerechnet einer sumerischen Gottheit gehuldigt wird und nicht einem der näherliegenden nordischen Götter aus dem isländischen Edda-Kanon, beantwortet Þórhallsson mit einer Gegenfrage: "Würden Sie Anhänger einer anderen Religion fragen, warum sie gerade an ihren Gott glauben und nicht an einen beliebigen anderen? Wir sind Zuisten, weil wir die alten sumerischen Götter und Göttinnen verehren. Und nicht die falschen, jüngeren nordischen Götter."

Kultzeremonien, Traditionen oder Bräuche der antiken sumerischen Variante sind nicht überliefert. Das hält die Führung der Neo-Zuisten aber nicht davon ab, ihre Anhänger neue Konventionen erfinden zu lassen. Eine erste Ideenrunde offenbarte den Wunsch nach einer Tempelanlage. Mit Löwenpark und Alligatorgraben, weichen Betten und Drachen. (Michael Matzenberger, 12.12.2015)