Wien – Herr S. ist erbost. Er hat sich, wie von der freundlichen Stimme aus den Lautsprechern am Wiener Westbahnhof anempfohlen, über den Fahrplanwechsel am 13. Dezember kundig gemacht und herausgefunden, dass seine häufigen Fahrten von Linz nach Wien ab Sonntag um eine halbe Stunde länger dauern. Oder spürbar teurer werden.

Was ist der Grund? Wenn S. in St. Pölten vom Schnellzug in einen Regionalexpress (Rex) umsteigt, um wie bisher direkt den Westbahnhof anzusteuern, muss er Wartezeiten in Kauf nehmen. Fährt er wie bisher mit Railjet, IC oder ICE nach Wien-Meidling (oder zum Wiener Hauptbahnhof), dann muss er für die U-Bahn-Fahrt Fahrscheine kaufen, weil diese Strecke im ÖBB-Ticketpreis nicht inkludiert ist. Seine Fahrt zum Westbahnhof wird somit teurer, obwohl die ÖBB keine Ticketpreiserhöhung vornimmt. Als Alternative bietet sich die private Westbahn an, sie fährt nach wie vor Schnellzüge zwischen Wien-West und Salzburg, die neuerdings auch am Bahnhof Tullnerfeld halten.

Meidling statt Hauptbahnhof

Herr S. ist mit seinem Ärger nicht allein. Auch Pendler aus dem südlichen Niederösterreich monieren Änderungen, etwa, dass viele Züge in Meidling enden, obwohl der Hauptbahnhof endlich in Vollbetrieb geht.

Leser Martin J. wiederum hat auf der Franz-Josef-Bahn zwischen St. Andrä-Wördern und Wien "dramatische Verschlechterungen" ausgemacht, wie er schreibt. Seine im Schichtdienst arbeitende Ehefrau werde insbesondere an Sonn- und Feiertagen länger zum AKH brauchen, weil manche Züge künftig nur werktags fahren und auch noch einen (kostspieligeren) Umweg über Tulln nehmen.

Radikale Umstellung

Klar ist zwei Tage vor Inkrafttreten des Fahrplans 2016: Es wird eine radikale Umstellung, die kaum einen Fahrgast unberührt lassen wird:

· Wien Westbahnhof: Aus Sicht der ÖBB erfolgt am vormals wichtigsten Bahnhof Österreichs eine "Konzentration auf Regionalverkehr". Da Konkurrentin Westbahn mit ihren Schnellzügen weiterhin am Westbahnhof bleibt, gibt es für Direktverbindungen zwischen Wien und Salzburg also eine Alternative, die zudem keine Mehrkosten verursacht und bei Zeitkarten sogar billiger ist als ÖBB und Verkehrsverbund Ost-Region.

· Taktknoten St. Pölten: Neu sind bei der ÖBB täglich elf Zugpaare "Regionalexpress", die in Morgen- und Abendspitze (ab 5 Uhr) zwischen Wien und St. Pölten (über Neulengbach) im 30-Minuten-Takt verkehren. Sie sind wohl gut vertaktet mit Schnellzügen wie Railjet, IC und ICE, brauchen aber bis zu 60 Minuten, was die Fahrzeit – wie eingangs beschrieben – um eine halbe Stunde verlängern kann. Auch fahren diese Rex-Züge überwiegend werktags.

Ausgedünnt am Samstag

"Immer mehr Menschen arbeiten auch am Samstag, aber da ist das Zugangebot extrem ausgedünnt", kritisierte am Donnerstag prompt die Arbeiterkammer. Das freilich liegt daran, dass zahlreiche Pendlerzüge als Schülerzüge gelten und aus dem Familienlastenausgleichsfonds finanziert werden. Ein Problem, das in vielen Regionen auch in den Schulferien auftritt. Die AK urgiert eine Nachbesserung des ÖBB-Fahrplans, weil "die Fahrt zur Arbeit mit Öffis auch an Samstagen in zumutbarer Zeit möglich sein muss."

· Drehscheibe Hauptbahnhof: Durch die Umleitung des ÖBB-Fernverkehrs der Weststrecke über Wien-Meidling zum früheren Südbahnhof-Gelände und die Durchbindung von Schnellzügen zum Flughafen Wien wird der Hauptbahnhof zu einer Drehscheibe. Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Oberösterreich rücken näher zum Hauptbahnhof und Flughafen in Schwechat.

Wiewohl der Hauptbahnhof über eine Anbindung an die U-Bahn (U1) verfügt, wird sich das Passagieraufkommen in der U6 erhöhen, weil auch die Züge der Weststrecke die Station "Philadelphiabrücke" passieren. Entlastet werden möglicherweise U4 und U3, weil Wien-Hütteldorf und Westbahnhof künftig nur mehr von Regionalzügen angefahren werden.

Direkt zum Airport

Den Flughafen fahren pro Stunde zwei ÖBB-Fernzüge aus Westösterreich direkt an, die Fahrzeit von Railjet und Intercity (IC) beträgt 76 Minuten. Aus dem Süden kommend ist meist ein Umstieg nötig, der allerdings am selben Bahnsteig möglich sein soll. ICE-Züge enden laut ÖBB am Hauptbahnhof.

Die Arbeiterkammer lobt den Hauptbahnhof als "Meilenstein für die Verkehrsentwicklung in der Ostregion. Allerdings brauche es zusätzliche Halte von schnellen Zügen zwischen 6 und 9 Uhr und am Abend zwischen 17 und 21 Uhr. Mit Nachbesserung ist frühestens im Sommer, jedenfalls aber ab Dezember 2016 zu rechnen. (Luise Ungerboeck, 11.12.2015)