Aus alten Snowboards werden neue Longboards – Ruffboards eben. Upcycling ist aber nicht alles, was Gründerin Melanie Ruff wichtig ist. Exhäftlinge sollen hier Jobs bekommen.

Foto: Corn

Bis jetzt ist Herbert Prochaska der einzige ehemalige Häftling, der bei Ruffboards arbeitet. Wenn niemand zuschaue, übe er auch das Longboard-Fahren. Aber lieber bastle er an neuen Brettln.

Wie lang man wohl braucht, um aus einem alten Snowboard ein neues Longboard zu machen? Eines steht fest: Herbert Prochaska ist schnell – ein Profi mit "den Brettln", wie er sie nennt. Mit der Hand streicht er über ein fertiges Exemplar, das den Namen Longboard trägt, weil es länger ist als ein Skateboard.

Prochaska steht in einem Kellergewölbe – es ist das Hauptquartier von Ruffboards, einem Wiener Start-up, das Longboards lieber aus alten Materialien produziert, bevor diese im Sperrmüll landen. Büro, Produktion und Verkauf, alles findet in diesem Gewölbe statt. An den Wänden lehnen Snowboards, Skateboards, Longboards. Es ist kalt, und aus den Lautsprechern dröhnt FM4. Zu trinken gibt es Mineral und Traubensaft aus Plastikweingläsern. Ein klassisches Start-up ist Ruffboards aber trotzdem nicht, denn Prochaska ist 51 und war im Gefängnis.

Produktion im Gefängnis?

Eine der beiden Gründerinnen, Melanie Ruff, erklärt, wie "der Berti" dazu kam, im Kellergewölbe an Longboards zu feilen: Für die Produktion suchten sie nach Orten, an denen die Infrastruktur schon besteht. Nachdem ihre Idee, die Fertigung ins Gefängnis zu verlegen, ziemlich schnell am Verwaltungsdschungel scheiterte, wurden die beiden Freundinnen auf den Verein Neustart aufmerksam, wo ehemalige Häftlinge Unterstützung bekommen. Eine Tischlerei mit dem nötigen Equipment war dort vorhanden, "und der Berti hat sich gleich voll reingehängt. Er ist hier zum Hüter des Hauses geworden", sagt Ruff zwischen zwei Bissen ins Schinkenbrot.

Weil Prochaska hier steht und Bretter fertigt, ist Ruffboards ein sogenanntes Social Business – ein Unternehmen, das vorrangig ein soziales Anliegen verfolgt, aber trotzdem Profit erwirtschaften und wachsen will.

Money and Meaning

Unlängst wurde in einer Studie der Wirtschafts-Uni Wien den sozialen Unternehmen ein hohes Wachstumspotenzial zugeschrieben – "money and meaning" liegt im Trend. Österreichweit gibt es laut Studie zwischen 1200 und 2000 dieser Unternehmen. Die Zahl der Beschäftigten schwankt zwischen zwei und 144 Personen pro Betrieb – die Forscher schließen daraus auf beträchtliche Arbeitsmarkteffekte. Für die nächsten zehn Jahre erwarten sie eine Verdoppelung, was rund 160 neuer sozialer Organisationen pro Jahr entspricht.

Das Label steht für Ruff aber nicht im Vordergrund. Für sie ist Ruffboards vorrangig eine moderne Lifestylemarke, die auf nachhaltige Produktion setzt. "Die Idee, mit ehemaligen Häftlingen zu arbeiten, hatten wir schon, bevor wir wussten, was ein Social Business ist." Leben kann sie mit der Zuschreibung trotzdem. "Wenn es den Leuten hilft zu verstehen, wofür wir stehen, ist das ja okay."

Der Tag, den man nie vergisst

Auch Prochaska trägt ein Label – "Exhäftling" -, aber es mache ihm nichts aus, wenn das jeder weiß. "Ich habe einen Fehler gemacht und daraus gelernt." Wenn er über das spricht, was ihm schließlich zehn Monate Gefängnis eingebrockt hat, wird der gelernte Schlosser technisch und wortkarger als sonst. "Ich war spielsüchtig. Und um mir das zu finanzieren habe ich ... Gewerbsmäßiger Diebstahl heißt das Delikt."

Da war er da, der "schwarze Fleck", wie Prochaska seine Haft umschreibt. Fünfzehn Monate lautete das Urteil. Wann das war? "Meinst du den Monat oder den genauen Tag?" Vergessen wird er den 13. Februar 2013 nie. Sowohl in der Josefstadt, als auch in Simmering, wo er später hinversetzt wurde, hat Prochaska gearbeitet, sich mit allen verstanden. "Darum bin ich wahrscheinlich früher rausgekommen." Fast zwei Jahre sind seither vergangen.

Schwierige neue Freiheit

Die meisten Haftentlassenen werden rückfällig, nur wenige finden nach der Entlassung selbstständig Arbeit oder eine neue Wohnung. "Auch wenn die Leute nach der Haft einen Job finden, sind die meisten nach wenigen Monaten wieder arbeitslos", sagt Heinrich Staffler, der bei Neustart in Wien das Arbeitstraining leitet. Die meisten würden nur als Leiharbeiter Arbeit finden. Der Leumund sei in großen Unternehmen ein Problem: "Auch wenn sich die Leute gut anstellen, kommt von oben die Anweisung, dass man diese Menschen im Unternehmen nicht haben will."

Prochaska erklärt mittlerweile den Produktionsprozess, redet über Decks, Achsen und Kugellager. Bis vor kurzem hätte er damit nicht gerechnet. "Mit 50 hat man es nicht leicht am Arbeitsmarkt. Und mit einem schwarzen Fleck schon gar nicht." Fünf Monate lang bekam er aber nur Absagen. Dann kam Neustart und Ruffboards. Die Brettln hat Prochaska seither eigenständig weiterentwickelt, auch in seiner Freizeit. "Arbeiten ist einfach mein Hobby. Das war schon immer so." Ein Board trägt nun seinen Namen – das Berti-Board.

Ein Brett in 90 Minuten

Wusste er vor zwei Jahren überhaupt, was ein Longboard ist? "Na natürlich." Prochaska grinst. Er habe ja zwei Kinder und kenne sich aus "mit den jungen Leut." Manchmal steht er auch selbst auf dem Brett. "Aber nur, wenn niemand zuschaut." Wie lange braucht er denn nun vom Snowboard zum Longboard? "In 90 Minuten ist er schon fertig", hallt es aus dem Nebenzimmer zurück. Prochaska grinst zufrieden. (Lara Hagen, 17.12.2015)