Am Sonntag wird bei einem Referendum in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) über eine neue Verfassung abgestimmt, die unter anderem die Dauer der Amtszeit des Präsidenten beschneidet. Ende Dezember später finden zudem – schon mehrmals verschobene – Parlaments- und Präsidentenwahlen statt. Der deutsche Afrikaforscher Tim Glawion vom Hamburger GIGA Institute of African Affairs ist angesichts des großen Einflusses der Milizen Anti-Balaka und Séléka der ehemaligen Putschisten François Bozizé und Michel Djotodia wenig optimistisch, dass sich an der desperaten Lage in dem Land im Herzen Afrikas so schnell etwas ändert. Die wechselhafte Geschichte der Zentralafrikanischen Republik lässt sich in dieser Timeline nachvollziehen.

Tim Glawion (Mitte) bei einem Besuch in Zentralafrika.
Foto: Tim Glawion

STANDARD: Eine der wichtigsten Neuerungen in der Verfassung soll die Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten auf zehn Jahre sein. Was erhofft man sich davon?

Glawion: Einerseits hofft man, dass künftig nicht mehr geputscht wird, sondern friedliche Machtwechsel stattfinden. In der ZAR haben sich die Machtverhältnisse schon bisher etwa alle zehn Jahre geändert, allerdings meist durch gewaltsame Umstürze. Die größere Motivation sind aber vermutlich die internationalen Geldgeber. Nach den Geschehnissen in Burundi (Präsident Pierre Nkurunziza ließ sich dort im Juli entgegen der Verfassung für eine dritte Amtszeit wiederwählen, Anm.) erhoffen sich die Führer in der ZAR positive Beurteilungen für die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten. Spätestens seit der Zeit der Séléka-Regierung ist die Einhebung von Steuern im Land völlig zusammengebrochen, vorher war sie auch schon sehr gering ausgeprägt. Der verfassungsgebende Prozess und auch die Übergangsregierungen sind deshalb komplett von internationaler Finanzierung abhängig. Darum orientiert sich die neue Verfassung eher an den Vorstellungen der Geldgeber als an den eigentlichen Bedürfnissen der Bevölkerung.

STANDARD: In der jüngeren Vergangenheit prägten vor allem zwei Milizen die Geschicke des Landes, Séléka und Anti-Balaka, die einen muslimisch, die anderen christlich. Geht es bei den Konflikten in der ZAR um Religion?

Glawion: Diese Spannungen sind definitiv nicht religiös motiviert. Es gibt keinerlei religiöse Statements der Milizen, weder soll das Christentum verbreitet werden noch wird zum Jihad aufgerufen. Auch sind Séléka und Anti-Balaka keine Bezeichnungen, die uns heute noch weiterhelfen. Der Zeitpunkt, wo es für diese Gruppen lohnend war sich zusammenzutun und für ein bestimmtes Ziel zu kämpfen, ist lange vorbei. Zum Beispiel kämpfen heute die einzelnen ehemaligen Séléka-Fraktionen untereinander mindestens genauso viel wie gegen Anti-Balaka, bei denen es genauso ist. Einer der wichtigsten Konflikte, den es zwar schon lange gibt, der jüngst aber eskaliert ist, ist jener um die Identität.

Die Zentralafrikanische Republik hat etwa die Größe Frankreichs und zählt 4,5 Millionen Einwohner.
Grafik: STANDARD

STANDARD: Was bedeutet das?

Glawion: In breiten Schichten der Bevölkerung gibt es die Auffassung, dass ein Muslim kein echter Zentralafrikaner sein kann. Deswegen scheinen die Kämpfe in der ZAR von außen betrachtet als religiöse Konflikte, eigentlich geht es aber um Zugehörigkeit. In vielen Regionen kommen noch ethnische Spannungen dazu, die oftmals eigentlich ökonomisch-politische Verteilungskämpfe sind. Ein zentrales Problem ist aber, dass noch nie eine Debatte über die Identität des Landes und seiner Bewohner geführt worden ist. Derzeit geht man eher den umgekehrten Weg, indem man Gruppen ausschließt.

STANDARD: Adressiert die neue Verfassung denn die Probleme des Landes?

Glawion: Die Spaltung der Gesellschaft erscheint mir das dringlichste Problem. Denn sie verläuft nicht nur zwischen den Religionsgruppen und den Ethnien, sondern auch geografisch, der Norden gegen den Süden, Stadtbewohner gegen Landbewohner. Es braucht dringend eine Versöhnung zwischen den Gruppierungen. Die neue Verfassung wird diese Probleme nicht lösen können, weil niemand die Umsetzung durchführen kann. Die Regierung hat außerhalb von Bangui kaum Einfluss. Diese Machtlosigkeit ist in keinem anderen Land der Welt so extrem ausgeprägt wie in der ZAR. Für ein Land von der Größe Frankreichs gibt es zum Beispiel nur 1.500 Soldaten. Ich war in der relativ dicht besiedelten Region Paoua im Nordwesten des Landes unterwegs, dort gibt es für 250.000 Einwohner gerade einmal drei Polizisten. Die Macht des Zentralstaates ist seit der Ära Bozizé immer weiter reduziert worden, auch deshalb, weil er für die Machthaber aufgrund der häufigen Putsche als Bedrohung wahrgenommen wurde.

STANDARD: Wie groß ist die Macht der Milizen aktuell?

Glawion: Das Verfassungsgericht hat sowohl François Bozizé als auch Michel Djotodia und auch andere führende Milizenführer in einem sehr mutigen Schritt von der Wahl ausgeschlossen. Im Verfassungsentwurf stand auch, dass Präsidentschaftskandidaten niemals Mitglied einer Miliz gewesen sein dürfen. Natürlich bedeutet das aber, dass die Milizen kein Interesse an den Wahlen und dem Referendum haben. Mit Gewalt ist zu rechnen. Sowohl Bozizé als auch Noureddine Adam (Séléka-Kommandant und Djotodia-Nachfolger, Anm.) haben durchaus noch militärische Macht hinter sich. Die Sicherung der Wahl kann nicht von Polizei oder Militär geleistet werden. Ob die UN-Soldaten diese Aufgabe stemmen können, ist ebenfalls fraglich.

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"Der Frieden liegt in den Urnen", heißt es auf diesem Transparent in Bangui. Französische Soldaten sollen den Ablauf des Referendums sichern.
Foto: AFP / MARCO LONGARI

STANDARD: Wie groß ist das Interesse Frankreichs an seiner ehemaligen Kolonie?

Glawion: Der französische Einfluss war bis Ende der 90er-Jahre sehr groß, de facto hatte Frankreich im Land das Sagen. 1998 wollte Paris seine Truppen abziehen, dann kam ihm der Putsch von Bozizé dazwischen und es bleiben einige Truppen dort. Nach der Machtübernahme der Séléka kamen die Franzosen mit mehr als 2.000 Soldaten zurück. Klar ist, dass Frankreich sich zurückziehen wollte, aber das Gefühl hat, es nicht zu können und darum weiterhin stark mitmischt. Heute hat Frankreich eigentlich keine echten Interessen mehr in der ZAR. Zwar gibt es Uran, Diamanten, Gold und Öl, es wird aber Jahrzehnte dauern, bis diese Ressourcen zu fördern sind. (Florian Niederndorfer, 13.12.2015)