Lärmexperte Wilhelm Wahler im geräuschesterilen Labor im Keller der AUVA-Zenrtrale. Auf dem Ring vor ihm sind 49 Mikrofone montiert.

Foto: Andy Urban

Wien – Wer Lautes erforscht, muss leise beginnen. In Wien-Brigittenau befindet sich das stillste Kämmerchen Österreichs. Doch Wilhelm Wahler warnt: "Lange hält man es hier drinnen allein nicht aus. Die meisten wollen spätestens dann wieder raus, wenn sie ihr eigenes Blut rauschen hören." Wilhelm Wahler ist Lärmexperte der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (Auva), wo er in einem zehnköpfigen Team durch Lärm verursachte Unfälle und Berufskrankheiten erforscht und bekämpft.

Der extrem reflexionsarme Raum befindet sich im Keller der Auva-Zentrale in der Adalbert-Stifter-Straße. Eigentlich ist es ein in sich geschlossener Kubus mit dicken Betonmauern, der auf Stahlfedern ruht, um Vibrationen aus der Außenwelt zu eliminieren. Das Innere gleicht einem Tonstudio mit großen Schallabsorbern an den Wänden. An einem Ring sind 49 Mikros montiert, die jedes erzeugte Geräusch erfassen, eine Akustikkamera macht Schallquellen sichtbar.

Kostenlose Gehörtests

In dem Labor werden unter anderem Geräte getestet, deren Lautstärke eine Gefahr für das menschliche Ohr sein können. Die Lärmtester fahren aber auch direkt zu Unternehmen, um Maschinen zu prüfen und die Hörfähigkeit von Arbeitern zu testen. Häufig werden sie mit Skepsis empfangen, obwohl die Besuche der Spezialisten kostenlos sind und so manches Gehör vor Schädigung gerettet wird.

Die Mess-Busse der AUVA besuchen Unternehmen in ganz Österreich. Im Fahzeug befindet sich eine Kabine, wo das Gehör von Arbeiterinnen und Arbeitern getestet wird.
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Der Bedarf der Vorsorge ist jedenfalls da: Lärmschwerhörigkeit ist in Österreich die häufigste entschädigungspflichtige Berufskrankheit. Fast 800 Fälle wurden im Vorjahr anerkannt. Tendenz steigend. Da Berufsunfähigkeitsrenten insgesamt fast 40 Prozent der Auva-Ausgaben ausmachen (Unfälle rund 30 Prozent), hat die Versicherung natives Interesse an der Gesundheitsvorsorge.

Und die ist im Fall von Lärm relativ einfach: Gehörschutz wie Kapselgehörschützer oder Stöpsel bis hin zu Otoplastiken, die den Gehörgängen der Benützer nachgeformt sind.

Gehörschutz für Black-Hawk-Piloten

Generell ist mit Lärmschwerhörigkeit zu rechnen, wenn am Arbeitsplatz andauernd starker Lärm mit Expositionspegeln über 85 Dezibel auftritt. "Bei 80 Dezibel über acht Stunden braucht das Ohr unbedingt 16 Stunden Ruhe", so Wahler. Fast eine halbe Million Menschen haben in Österreich einen potenziell gehörgefährdenden Arbeitsplatz, etwa in der Schwerindustrie, am Bau oder in Tischlereien. Aber auch Hubschrauberpiloten beim Bundesheer tragen ein hohes Risiko. Wahler: "Nach unseren Messungen wurden sie mit Otoplastiken ausgestattet." Das Mitfliegen im Black Hawk sei schon ein besonderer Einsatz gewesen.

Diffiziler sei es bei Musikern. Alle aus dem Ensemble eines Wiener Theaters hätten Gehörschutz abgelehnt. "Die Angst, im Orchester etwas zu überhören, ist einfach zu sehr ausgeprägt", sagt Wahler. Bläser könnten mit Gehörschutz außerdem keinen Druckausgleich machen. Im konkreten Fall sei ganz vorn, auf dem Platz der Piccoloflötistin, die höchste Lautstärke gemessen worden.

Im halligen Raum kann der Schall mit verstellbaren Plexiglasflächen beeinflusst werden. Die Akustik in dem kleinen Raum gleicht der einer großen Kirche.
Foto: Andy Urban

In unmittelbarer Nachbarschaft zur stillen Kammer liegt das Gegenteil, ein sogenannter halliger Raum. Die Wände sind glatt, von der Decke hängen ausgeklügelt positionierte Plexiglasflächen, mit denen der Schall gesteuert wird. Das Hörerlebnis in dem kleinen, aber hohen Zimmer erinnert an große Kirchen. "Je halliger ein Raum, desto weiter wird die Stimme getragen, aber desto anstrengender wird auch das Sprechen", erklärt Wahler. Was beispielsweise in Schulen zu einem Problem für Lehrer werden kann. Schon einfache schallbrechende Installationen könnten die Stimmen von Vortragenden schonen.

Nur Frankreich hat Limit

Was den Krachspezialisten auffällt, ist, dass immer mehr junge Leute bereits eine Lärmschädigung haben. Ob das an zu lauter Kopfhörermusik liegt, sei zwar nicht erwiesen, aber wahrscheinlich. In Europa gibt es nur in Frankreich eine verpflichtende Lautstärkenbeschränkung für mobile Geräte.

Ab einer Minderung der Hörfähigkeit um zwanzig Prozent wird Lärmschwerhörigkeit in Österreich als Berufskrankheit anerkannt. Normalhörende können das online mit einem Hörverlust-Demonstrator, der am University College London entwickelt wurde, ausprobieren. Lärmschwerhörigkeit ist nicht heilbar. (Michael Simoner, 13.12.2015)