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Bleibt demonstrativ gelassen: Fabian Philippot, EU-Parlamentarier und regionaler Spitzenkandidat.

Foto: Reuters / Vincent Kessler

Marine Le Pen erzielte vor einer Woche im Norden Frankreichs im Schnitt mehr als 40 Prozent der Stimmen, ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen tat es ihr im Süden gleich. Trotzdem werden ihre Wahlchancen bei der Stichwahl am Sonntag laut Umfragen auf unter 50 Prozent veranschlagt, denn die Sozialisten haben ihre Kandidaten auf Weisung von Präsident François Hollande hin im Norden und Süden zurückgezogen, um den bürgerlichen Rivalen unter Nicolas Sarkozy den Vortritt zu lassen – und so einen Triumph der Le Pens zu verhindern.

Hinter den beiden Frauen hat sich mittlerweile Florian Philippot zum weiteren Frontrunner des Front National aufgeschwungen: Der smarte 35-Jährige kandidiert in Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne und könnte von einer mangelnden Absprache seiner Gegner profitieren. Philippot erzielte im ersten Wahlgang 36 Prozent, der konservative Republikaner Philippe Richert 26 und der Sozialist Jean-Pierre Masseret 16. Letzterer weigert sich allerdings, für die Stichwahl den Platz zu räumen, was die Chancen des FN-Kandidaten erhöht.

Laut Umfragen lieferten einander Philippot und Richert zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit 43 zu 41 Prozent. Masseret scheint auf seinen 16 Prozent sitzen zu bleiben. Politologen lesen diese Zahlen aber mit Vorsicht, da die Stimmübertragung in der Stichwahl von Ort zu Ort sehr unterschiedlich ausfällt; doch die von der Schweiz bis nach Belgien reichende Region Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne mit 5,5 Millionen Einwohnern könnte tatsächliche die erste – und einzige – sein, die in die Hände des Front National fällt.

Deftige Ankündigungspolitik

Die Regionen haben zwar wegen der Übermacht des Zentralstaates nur wenige Kompetenzen; Philippot machte aber in einer lokalen Fernsehdebatte klar, dass er sie so weit wie möglich ausnützen würde. Zum Beispiel will er die regionale Subvention von 600.000 Euro für den Bau einer Moschee in Straßburg streichen.

Außerdem will sich Philippot dafür einsetzen, dass die von Hollande 2014 vorgenommene Territorialreform rückgängig gemacht wird. Die Elsässer waren laut Umfragen mehrheitlich gegen die Fusion mit Lothringen, Champagne und Ardennen – und der Widerstand ist bis heute nicht eingeschlafen. Während sich die Republikaner damit abgefunden haben, verteidigt der FN zusammen mit dem Verein "Elsass zuerst" die "identitären" Ansichten der knapp zwei Millionen Elsässer.

Vandalenakte gegen jüdische und muslimische Friedhöfe

Schon vor zehn Jahren meinte der Soziologe Philippe Breton: "Im Elsass ist der Front National wie ein Fisch im Wasser." Ihren "rechtsradikalen" Ruf hat sich die kleine Region am linken Rheinufer auch mit vielen Vandalenakten gegen jüdische und muslimische Friedhöfe eingehandelt.

Ein weiterer Grund für das starke Abschneiden der Frontisten ist die Wirtschaftslage: Im Elsass sind 9,2 Prozent arbeitslos – weniger als im Schnitt, die Zahl nahm zuletzt zu. Die Elsässer machen dafür nicht nur die sozialistische Regierung im fernen Paris verantwortlich, sondern auch die gaullistischen Republikaner, die außerhalb von Straßburg seit dem Zweiten Weltkrieg die elsässische Politik beherrschten.

Die Region "Grand Est" besteht aber nicht nur aus dem wohlhabenden Elsass, sondern auch aus vielen verarmten Departements. In Lothringen, der Champagne und den Ardennen zeigt sich das neue, ländliche Ausmaß des FN-Phänomens: Früher erhielt die fremdenfeindliche Partei vor allem in Immigrantengebieten der Pariser oder nördlichen Industriezentren Zulauf. Heute sind dazu auch "periurbane" Zonen an den Rändern der Großstädte betroffen, außerdem ländliche Regionen, wo Fabriken und Bauernhöfe en masse schließen. Der Geograf Christophe Guilluy nennt dieses FN-Territorium "den Rand Frankreichs". (Stefan Brändle aus Paris, 13.12.2015)