"In Zeiten wie diesen" ist ein Spruch, der sich auf das Festival This Human World exakt jeden Tag in jedem Jahr eines jeden Jahrzehntes anwenden ließe.

Denn diese Zeiten, von denen Jahr um Jahr filmisch berichtet wird, hören nie auf. Es gibt weltweit alljährlich genug zu erzählen: von Grausamem, von Andersartigem, von Verborgenem, von Unbekanntem. Umso schöner ist diese Verdichtung vieler internationaler Erzählungen, dieses Fingerauflegen, dorthin, wo man oft nicht gerne hinsieht, dorthin, wo man auch sagen können wollte: Aber das wusste ich doch nicht!

Pustekuchen. Wenn man hätte sehen wollen, hätte man gewusst. Die Geschichten, die da erzählt werden, sind skurril, tragisch, außergewöhnlich, nüchtern, blumig, fremd, sie sind ein wildes Potpourri künstlerischen Schaffens: mal ausschweifend üppig, mal dokumentarisch begrenzt.

Es braucht diese Blickwinkel, um eine neue Innenschau zu ermöglichen: Dies ermöglicht auch das Begreifen und das Erkennen.

Ein Film, der mir sofort ins Herz fiel: Ixcanul. Eine Maria-Magdalena-Parabel aus Guate mala, die Geschichte eines Maya-Mädchens, dessen Versuch, aus dem kargen Leben am Fuße des Vulkans auszubrechen, scheitert. Ein schmerzlicher, farbenschreiender, aber dennoch ruhig erzählter Film mit Laiendarstellern über bäuerliche Grausamkeit, Naivität, Selbstdefinition.

Oder A Minor Leap Down, das in schönen, beinahe gemalten Bildern das Leben von Nahal schildert, deren Kind im vierten Monat ihrer Schwangerschaft verstirbt und mit dessen Tod
für die stille Frau die Zeit einer unerwarteten Rebellion anbricht.

Dokumentarfilme, die das Leben in einem partiell überschwemmten Dorf schildern (Kings of Nowhere), die am Tabu der Sexualität von Behinderten rütteln wie Menschenliebe, oder das herausragende Approaching the Elephant, das Porträt einer bedingungslos alternativen Schule, um die Irrungen, die Machtkämpfe, die im Unregulierten entstehenden Systeme kommentarlos festzuhalten.

Was mit Pirates of Saleh eröffnet wurde, schließt mit einer Preisverleihung. Das Leben muss auch gefeiert werden. So oder so.

Es war auch dieses Jahr so vieles dabei, das sich so gegensätzlich anfühlt und dennoch in ein großes stimmiges Ganzes fließt. In Zeiten wie diesen. (Julya Rabinowich, 11.12.2015)