"Das sagt doch jede Religion, ohne Ausnahme. Bei den einen gibt es die Hölle, bei den anderen die Finsternis. Aber lassen wir das": Fuat Sanaç über die Konsequenzen im Jenseits für Ungläubige.

Foto: Matthias Cremer

"Wenn Bürger nach ihrem Glauben definiert und demnach behandelt werden, ist das für mich unmenschlich – und entspricht einer Aufhetzung": Fuat Sanaç zur anstehenden flächendeckenden Untersuchung von muslimischen Kindergärten.

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"Das ist eine wissenschaftliche Angelegenheit. Da müssen Sie einen Wissenschafter, etwa einen Arzt fragen, warum fragen Sie mich das?": Fuat Sanaç auf die Frage, ob Frau im Islam nun prinzipiell als schwach gilt

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Muslimische Schüler hält Fuat Sanaç für diskriminiert, denn: "Was der Wiener Stadtschulrat im Zuge der Deradikalisierungsmaßnahmen alles vorgegeben hat: Nur wenn ein Kind 'Salam' sagt (üblicher Gruß im Arabischen, Anm.), dann müsse das beobachtet werden, ob der Schüler radikal ist."

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Wien – In der Debatte um muslimische Kindergärten geht Fuat Sanaç, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in die Offensive. Im STANDARD-Interview erklärt er zu der anstehenden flächendeckenden Untersuchung der Betreuungseinrichtungen, dass das "einer Aufhetzung" entspreche.

Für die rechtlichen Schritte einiger Betreibervereine gegen Ednan Aslan, Autor der umstrittenen Vor-Studie zeigt Sanaç Verständnis: "Diese Leute haben einen Betrieb, der durch die Pauschalisierung schlechtgemacht worden ist, daher ist es ihr Recht, sich dagegen zu wehren." Aslan selbst kann mit einer Klage übrigens "gut leben".

Dazu hält der Präsident der Glaubensgemeinschaft dem Wiener Stadtschulrat vor, muslimische Schüler zu diskriminieren, denn im Zuge der Deradikalisierungsmaßnahmen müsse allein schon "wenn ein Kind "Salam" sagt (üblicher Gruß im Arabischen, Anm.) beobachtet werden, ob der Schüler radikal ist. Durch solche Erklärungen fühlt sich doch jeder Muslim betroffen."

STANDARD: Angesichts der Debatte um muslimische Kindergärten in Wien sollen die Betreuungseinrichtungen nun in einer Studie "flächendeckend" untersucht werden. Ist das in Ihrem Sinne, oder lehnen Sie das wie strengere Kontrollen weiterhin als "unmenschlich" ab?

Sanaç: Ich bleibe dabei: Was ich mit "unmenschlich" konkret gemeint habe, ist, dass in einem demokratischen Land auf bestimmte Ethnien nicht mit dem Finger gezeigt werden darf. Auch wenn Bürger nach ihrem Glauben definiert und demnach behandelt werden, ist das für mich unmenschlich – und entspricht einer Aufhetzung. Denn alle müssen vor dem Gesetz gleich sein.

STANDARD: Aber was, wenn es in manchen Kindergärten tatsächlich salafistische Einflüsse gibt: Die gehören doch sofort abgestellt?

Sanaç: Seit Jahren sage ich, dass wir für alle Kritik offen sind – und dass wir auch nichts zu verbergen haben. Falls Mängel auftreten, dann soll ein Kindergarten dafür auch die Konsequenzen tragen.

STANDARD: Nicht wenige muslimische Kindergärten in Wien sollen laut dem Religionspädagogen Ednan Aslan Tendenzen aufweisen, die Kinder "von der Gesellschaft zu isolieren". Haben Sie an die Betreibervereine bisher keine Empfehlungen abgegeben, welche pädagogischen Inhalte adäquat sind?

Sanaç: Das machen wir doch bei Kindergartenbesuchen. Wenn ich dabei etwa nur irgendwo ein bisschen Schmutz sehe, dann sage ich: "Was sagt unser Prophet? ,Die Reinheit ist die Hälfte des Glaubens.'" Wir müssen anstreben, das Beste und Schönste zu machen.

STANDARD: Doch längst machen auch andere hässliche Vorwürfe die Runde – etwa, dass sich Eltern in einer muslimischen Betreuungseinrichtung gegen das Singen starkgemacht haben sollen, weil das Allah beleidigen würde ...

Sanaç: Bei Gott, das höre ich zum ersten Mal. Ich kann gar nicht glauben, dass jemand so etwas behauptet!

STANDARD: Ein mit Bildungsprojekten Betrauter, der die Beschwerde einer Mutter mitbekommen hat. Zur Klarstellung: Kann, soll und darf in muslimischen Kindergärten gesungen werden?

Sanaç: Wieso nicht? Und egal in welchen Kindergärten ich war, dort haben die Kinder für mich gesungen.

STANDARD: Wie stehen Sie dazu, wenn schon im Kindesalter vermittelt wird, dass bei Vergehen "das Höllenfeuer" droht?

Sanaç: Das ist doch pädagogisch falsch. Denn das Wichtigste ist, den Menschen zuerst die Liebe zu Gott, zur Natur und den anderen Menschen beizubringen.

STANDARD: Wäre das Auswendiglernen von Koransuren für Sie im Vorschulalter in Ordnung?

Sanaç: Die Kinder sollen in den Kindergärten spielerisch Verschiedenes lernen, auch den Ausdruck von Respekt und Dankbarkeit. Dazu gehört ein kurzes Tischgebet. Das Auswendiglernen von Koransuren fällt nicht darunter.

STANDARD: Will die Islamische Glaubensgemeinschaft bei der Auswahl der Pädagogen mitreden?

Sanaç: Das ist seit jeher unsere Forderung, aber leider ist uns das gesetzlich nicht erlaubt. Es ginge uns nicht um Kontrolle, sondern darum, den muslimischen Einrichtungen zu helfen, damit wir es gemeinsam besser machen.

STANDARD: Einige Betreibervereine haben gegen Ednan Aslan rechtliche Schritte eingeleitet. Haben Sie Verständnis dafür?

Sanaç: Wie Sie gerade gesagt haben, haben diese Leute einen Betrieb, der durch die Pauschalisierung schlechtgemacht worden ist, daher ist es ihr Recht, sich dagegen zu wehren.

STANDARD: Was halten Sie von den umstrittenen Koranverteilungsaktionen der Stiftung "Lies!"?

Sanaç: Aus theologischer Sicht bin ich dagegen, dass der Koran auf der Straße verteilt wird. Denn der Islam stellt keine missionarischen Ansprüche. Jeder Mensch muss selbst entscheiden, ob er Muslim ist oder nicht. Außerdem landen viele der Bücher im Müll, und auf Facebook werden Fotos mit zerrissenen Exemplaren gepostet.

STANDARD: In Deutschland werten die Verfassungsschützer die Stände längst als Kontaktbörse für potenzielle Jihadisten. Eine Ahnung, wer konkret dahintersteckt?

Sanaç: Ich habe mit diesen Leuten nie Kontakt gehabt. Aus demokratischen Gründen bin ich aber gegen ein Verbot.

STANDARD: In der Beipackbroschüre von "Lies!" steht auch, der Islam sei die einzige Chance, um dem "Höllenfeuer" zu entrinnen. Müssen alle "Ungläubigen" damit rechnen?

Sanaç: Das sagt doch jede Religion, ohne Ausnahme. Bei den einen gibt es die Hölle, bei den anderen die Finsternis. Aber lassen wir das, mir geht es vielmehr um den Dialog der Religionsgesellschaften. Nicht die Religionen, sondern Menschen sind verantwortlich für die Geschehnisse!

STANDARD: Nach den Anschlägen von Paris erklärte ein Wiener Schuldirektor dem STANDARD, dass Jihadismus und Islamismus mitunter zum Jugendkult ausarten. Wie tritt man solchen Tendenzen am besten entgegen?

Sanaç: Unter anderem, indem man den Jugendlichen Perspektiven gibt. Der Gesellschaft muss endlich bewusst werden, dass Integration nicht allein bedeutet, Deutsch zu beherrschen. Die Jugendlichen müssen sich zu Hause fühlen, was oft nicht der Fall ist.

STANDARD: Warum konkret?

Sanaç: Ein simples Beispiel, was der Wiener Stadtschulrat im Zuge der Deradikalisierungsmaßnahmen alles vorgegeben hat: Nur wenn ein Kind "Salam" sagt (üblicher Gruß im Arabischen, Anm.), dann müsse das beobachtet werden, ob der Schüler radikal ist. Muslime sagen das aber wie die einen "Grüß Gott" und andere "Shalom".

STANDARD: Es gibt eine Liste mit verdächtigen Wörtern?

Sanaç: Ja, durch solche Erklärungen fühlt sich doch jeder Muslim betroffen. Ich weiß, dass die Direktoren darauf achten, dass muslimische Kinder nicht ausgeschlossen werden – und ich bin froh, dass viele nicht alles glauben, was so geschrieben wird.

STANDARD: Murat Baser, Vorsitzender der islamischen Religionsgemeinde in Oberösterreich, hat für Aufregung gesorgt, weil er Frauen als "physisch und psychisch schwach" bezeichnet hat. Völlig daneben oder theologisch korrekt?

Sanaç: Erstens: Ich habe ihm gesagt, dass theologische Auslegungen nicht seine Aufgabe sind. Zweitens: Gemäß unserer Verfassung ist nur der Präsident berechtigt, die Muslime nach außen zu vertreten. Außerdem habe ich ihn gefragt, ob er das wegen der oberösterreichischen Landesregierung gesagt hat, die ja nur männliche Mitglieder hat.

STANDARD: Das beantwortet nicht die Frage, ob die Frau im Islam nun prinzipiell als schwach gilt.

Sanaç: Das ist eine wissenschaftliche Angelegenheit. Da müssen Sie einen Wissenschafter, etwa einen Arzt fragen, warum fragen Sie mich das?

STANDARD: Weil Sie laut Ihrer Verfassung die Muslime vertreten.

Sanaç: Ich kenne starke Frauen. Frau Merkel ist stärker als die anderen Regierungschefs in Europa.

STANDARD: Sie selbst stehen der "Islamischen Föderation", dem heimischen Ableger der national-religiösen türkischen Milli-Görüs-Bewegung nahe, die gern eine islamische Rechtsordnung etablieren würde ...

Sanaç: Ich habe schon hundertmal gesagt, dass mir von Milli Görüs in Deutschland geholfen wurde, als ich Probleme mit der Wohnung hatte – und ich bin ein dankbarer Mensch bis in den Tod. Aber ich habe am ersten Tag meiner Amtszeit auch gesagt, dass ich der Präsident aller Mitglieder bin – was ich bisher auch bewiesen habe.

STANDARD: Dass das islamische Recht für nicht wenige Muslime über den österreichischen Gesetzen stehen könnte, ist aber eine der Hauptängste in einem Teil der Bevölkerung. Verständnis dafür?

Sanaç: Nein. Denn egal, wo Muslime leben: Wenn sie zu Gast in einem Haus sind, müssen sie zuerst fragen, ob sie hier ihr Gebet verrichten dürfen – wenn nicht, dann machen sie es auch nicht. Das bedeutet: Muslime, die hier leben, müssen sich nach den hier geltenden Gesetzen richten, was sie auch tun. Wenn nicht, werden sie sowieso bestraft! (Nina Weißensteiner, 14.12.2015)