Wien – Ein lauschiger Romantiktrip am dritten Adventswochenende? Aber bitte, aber gern. Christian Thielemanns Wirken als stabführender Märchenonkel an der Staatsoper (bei Humperdincks Hänsel und Gretel) ist beendet, mit seiner Langzeitliebschaft unter den Klangkörpern, den Wiener Philharmonikern, verlustierte sich der Deutsche in musikalischen Gefilden, die ihm künstlerisch am nächsten sind: in jenen der Romantik.

Superdupergut gelaunt, mal kurzzeitig energisch, mal jazzig-entspannt wippend, führte der 56-Jährige die Wiener durch die Ouvertüre von Webers Oberon. Ottensamer fils steuerte beim A-Dur Thema ein berückend zartweiches, inniges Klarinettensolo bei: Die Zeit blieb kurz stehen. Mit Noblesse und Neujahrskonzert-Esprit wurde finalisiert. Champagner für alle!

Es folgte Liszts 2. Klavierkonzert mit Yefim Bronfman, der gern gebuchten Fachkraft für die effektprallen, ausladenden Showstücke der Romantik und Spätromantik. In Bronfmans süffige, wuchtig-solide, behagliche Interpretationen kann man sich fallen lassen wie in bequeme Fauteuils von Hotelbars, es stören keine spitzen Radikalismen. Der 57-Jährige absolvierte alles donnergrollende Doppeloktavengeballere souverän und war dem zurückhaltenden Solocellisten Tamás Varga ein braver Begleiter. Bronfman gab die schlichte C-Dur Arabesque von Schumann zu.

Das Filetstück, Tschaikowskys Pathétique, litt etwas unter der Kontrolllust Thielemanns. Mit preußischer Exaktheit exekutierte der Dresdner Staatskapellmeister etwa die detaillierten dynamischen Angaben Tschaikowskys beim lyrischen Thema des Kopfsatzes – leider, denn von Herzen kommende Schwärmerei klingt anders. Auch beim Hauptthema des 2. Satzes wollte sich ob dessen Übergestaltung tänzerische Leichtigkeit nur bedingt einstellen.

Beim 3. Satz – da fliegt bei russischen Orchestern das Dach weg! – konnten sich Thielemann und die devoten Philharmoniker nur zu Buchhalter-Elan und laschen Beckenschlägen aufschwingen: Tschaikowsky muss sich hier mit dem dreifachen und vierfachen Forte vertan haben. Am überzeugendsten gelang das finale Adagio lamentoso: dicht, packend, mit kohlenkellerschwarzer Verzweiflung. Begeisterung im Saal. (Stefan Ender, 14.12.2015)