Radiosendungen, Playlists von Experten: Apple trumpft mit Orientierung auf

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Schwergewichte wie Elton John oder Drake wurden rekrutiert, den Playlists merkt man Expertise an

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Wieder einmal war es eine "Revolution", die Apple in Gestalt von CEO Tim Cook vergangenen Juni ankündigte: Nach MP3-Playern, Smartphones, Tablets und Download-Börsen sollte nun der Streaming-Markt von Apple aufgemischt werden. Apple Music, so der nüchterne Name des Services, sollte wie die Konkurrenz Millionen an Songs anbieten, die gegen ein monatliches Abo-Entgelt abgerufen werden könnten. Kritiker waren schnell zur Stelle: Apple nehme wie immer etwas bereits Bekanntes, mache es schicker und teurer – und protze dann mit der "Revolution", hieß es. Tatsächlich waren Spotify, Deezer und Co schon länger sehr erfolgreich. Doch Apple fügte eine Zutat in den Mix, die langfristig tatsächlich entscheidend sein könnte: Prominente und Experten, die Nutzer beraten.

Qual der Wahl

"Frauen tun sich oft schwer damit, neue Musik zu finden. Mit Playlists, die von echten Menschen erstellt werden, wird das um einiges einfacher": Für diesen Satz geriet Apple Music-Chef Jimmy Iovine völlig zu Recht in einen kleinen Shitstorm. Denn es sind nicht nur Frauen, die sich schwer tun. Jeder, der ernsthaft an neuer Musik interessiert ist, steht im Netz vor der Qual der Wahl. Spotify bietet rund zwanzig Millionen Songs, Apple Music noch mehr. Laut Studien wurden vier Millionen Songs auf Spotify noch kein einziges Mal angeklickt. Nimmt man auf YouTube verfügbare Musik sowie kostenfrei veröffentlichte Lieder dazu, wird diese Anzahl noch einmal multipliziert.

Orientierung ist nötig

Jeder, der neue Musik hören will, muss sich also in irgendeiner Form orientieren: An den Charts, an Empfehlungen von Stars oder an Magazinen wie dem Rolling Stone oder NME. Und hier kommt Apple Music ins Spiel. Denn der Service war in der Lage, eine ganze Armada an Schwergewichten aus der Musikbranche für seinen Streaming-Dienst zu rekrutieren. Einerseits wurden bekannte Radio-DJS wie Zane Lowe angeworben, andererseits Musiklegenden wie Elton John oder Dr. Dre überzeugt. Die Bandbreite reicht dabei weit: Indie-Stars wie St. Vincent oder Vampire Weekend-Frontmann Ezra Koenig kuratieren ebenso Playlists wie Rockstar Josh Homme (Queens of the Stone Age) oder Charts-Phänomen Drake.

Liebhaber

Die kuratierten Playlists funktionieren: Sie weisen eine gute Mischung aus altbekannten Hits und versteckten Perlen auf und zeigen vor allem, dass die Experten und Stars wirklich an Musik hängen. Charmant ist auch, dass die ausgewählten Songs nicht nur in Listenform verfügbar sind, sondern auch als Radiosendung mit Anmoderation gehört werden können. Sie sind Teil von Apples "Beats 1"-Radio, das rund um die Uhr in 100 Ländern gesendet wird. Auch das ist ein kluges Konzept: Radio ist nach wie vor eines der beliebtesten Medienformen. In Österreich hören Menschen laut ORF täglich 193 Minuten Radio, damit wird sogar das Fernsehen geschlagen. Viele hören Musik im Hintergrund und wollen ihr Gerät einfach aufdrehen, ohne sich mühsam eigene Playlists zusammenzustellen. Das funktioniert mit Apple Music hervorragend.

Nicht erfunden

An dieser Stelle muss festgehalten werden: Natürlich hat Apple Playlists und Onlineradios nicht erfunden. Auch Spotify und Deezer bieten diese Form an. Doch gibt es bei Marktführer Spotify hier erhebliche Mängel. Die Listen wirken uninspiriert zusammengewürfelt, manche Playlists umfassen bis zu hundert Titel, die nach wildesten Kriterien aneinandergereiht wurden – fast so, als hätte man einfach nach "Hip-Hop" oder "Dance" gesucht und die ersten 50 Stück ausgewählt. Die Onlineradios von Spotify sind sehr repetitiv, manchmal kommen nach 20 Songs wieder drei, die man bereits gehört hat. Moderationen oder persönliche Elemente gibt es keine.

"Persönlichkeit" gesucht

Dabei ist es gerade der Experte, die sogenannte "Persönlichkeit", die im Netz Orientierung bietet. Wenn Apple das Modell auf Filme und Serien ummünzt, könnte das ebenfalls ein großer Pluspunkt sein. So weiß man etwa, wie viel Mühe sich Netflix darin gibt, per Algorithmus den perfekten Film, die perfekte Serie für seine Nutzer auszusuchen. Doch in der persönlichen, menschlichen Auswahl liegt eben dieses Element der Überraschung, dieses abseits der Vorlieben Gefundene, das einen neugierig auf mehr macht. Man stelle sich nun vor, ein "Apple Films" würde etwa Empfehlungen von berühmten Regisseuren oder Schauspielern anbieten. Natürlich würde man gerne wissen, welche Filme etwa Woody Allen oder Quentin Tarantino empfiehlt. Dasselbe gilt für "Apple News" und Nachrichtenartikel.

Aufholjagd

Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Apple Music" noch schwerwiegende Designfehler aufweist. Das Interface ist prinzipiell zwar hübsch, allerdings reichlich unübersichtlich. Hier macht Spotify einen weitaus besseren Job. Außerdem ist das kolportierte Vorgehen von Apple, seine Marktmacht gegen die Konkurrenz einzusetzen – etwa der Druck auf Label; alles andere als sympathisch. Dennoch setzt der IT-Konzern mit kuratierten Playlists und Radios eine recht gute Idee konsequent um, die auch am Markt einschlägt. So soll der Dienst binnen weniger Monate bereits mehr als fünfzehn Millionen Nutzer gesammelt haben – viele davon allerdings noch in der kostenlosen Probezeit. Spotify, das rund 20 Millionen zahlende Kunden hat, ist also sehr schnell in Reichweite. 2016 wird zeigen, welches Modell sich durchsetzen kann. (Fabian Schmid, 1.1.2016)