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Autisten fühlen mit – wie eine aktuelle Studie zeigt, sogar deutlich stärker als andere Menschen. Sie schotten sich womöglich deshalb ab, weil sie mit den Gefühlen nicht umgehen können.

Foto: APA/EPA/PETER KOMKA

Dass sich Menschen mit antisozialen Persönlichkeitsstörungen oder Autismus besonders schwer damit tun, sich in andere Menschen hineinzufühlen, also empathisch zu sein, war lange ein Leitgedanke in der Auseinandersetzung mit diesen Krankheitsbildern. Neue Erkenntnisse, die Wiener Forscher in einem Übersichtsartikel zusammenfassen, weisen darauf hin, dass diese Sichtweise überdacht werden sollte.

In ihrem Beitrag zu einer Sonderausgabe des Fachblatts "Philosophical Transactions of the Royal Society B" beschäftigen sich der Neurowissenschafter und Psychologe Claus Lamm und zwei Kollegen (alle Uni Wien) mit der Frage, "was Empathie ermöglicht". In mehreren Studien haben unter anderen Lamm und seine Kollegen kürzlich einige neurowissenschaftliche Hinweise dafür gesammelt, dass beim Mitfühlen "jene Emotionsnetzwerke im Gehirn aktiviert werden, die auch dann aktiv sind, wenn man selbst die Emotion, mit der man mitfühlt, empfindet". Die Forscher sprechen hier von einem Mechanismus "geteilter Repräsentationen".

Etwas nachzuempfinden ist aber lediglich ein Aspekt der Empathiefähigkeit. "Eine wichtige weitere Komponente ist die Fähigkeit zu unterscheiden, was mein Gefühlszustand und was der einer anderen Person ist", sagt Lamm. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich dafür der Begriff "Selbst-Andere-Differenzierung" etabliert.

Forschung erst am Anfang

Die Forscher stellen sich in ihrem Artikel auch die Frage, wie es um diese beiden zentralen Aspekte bestellt ist, wenn Menschen unter verschiedenen klinischen Störungsbildern leiden. Dazu haben sie sich vor allem Studien über Autismus und Psychopathie, eine antisoziale Persönlichkeitsstörung, angesehen. Insgesamt sei die Erkenntnisdichte in diesem Forschungsbereich noch relativ dünn, es herrsche "ein ziemliches Durcheinander", so Lamm, der mit dem Betrag auch Türen für neue Fragen öffnen möchte.

Bei Autismus war reduzierte Empathiefähigkeit lange ein wichtiges Diagnosekriterium. Nun gebe es immer mehr Hinweise, dass "der Autist, der bei anderen starke Emotionen wahrnimmt, dadurch schneller überfordert wird". Um dem zu entgehen, könnten Betroffene gewissermaßen von vornherein dazu neigen, solche Wahrnehmungen zu blockieren.

"Gute Nachricht" für Betroffene

Dieser "gut eingebaute Schutzmechanismus" wäre allerdings etwas ganz anderes als eine prinzipielle Unfähigkeit, empathisch zu sein, und eine "gute Nachricht" für Betroffene, erklärt der Neurowissenschafter. Denn in einer Therapie müsse Einfühlungsvermögen nicht neu gelernt, sondern vielmehr der Umgang mit den Emotionen anderer geübt werden, indem geübt wird, negative Gefühle anderer von jenen, die die eigene Person betreffen, klarer zu trennen.

Starkes Mitfühlen

Personen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung bilden eine weitere Gruppe, der scheinbar der Zugang zur Gefühlswelt anderer fehlt. Hier zeige sich aber immer stärker, "dass Psychopathen nicht unbedingt Probleme haben, sich in andere einzufühlen, sondern dass sie das möglicherweise sogar sehr gut können und auch sehr gut in dieser Abgrenzung sind", sagt Lamm.

Sie scheinen allerdings ihr Wissen um das Gefühlsleben anderer Personen anders zu nützen: "Während weniger psychopathische Personen auf das Leid anderer Personen meistens prosozial reagieren, können Psychopathen diese Information dazu nützen, um die eigenen Anliegen weiterzubringen."

Lamm ortet auch Hinweise, dass sich die Forschung von dem alten Klischee des emotional unfähigen Psychopathen löst. Obwohl die automatische neuronale Antwort in der Regel weniger stark ausfällt, gebe es mittlerweile starke neurowissenschaftliche Hinweise, dass diese Menschen in der Lage sind, gewissermaßen einen Schalter umzulegen und sich – wenn sie dazu aufgefordert werden oder sich davon einen Vorteil versprechen – ebenso gut auf die Gefühlslage anderer einstellen zu können. (APA, 14.12.2015)