Tübingen – Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) verändert sich rasant und bildet nach einer Infektion unzählige Virusvarianten im menschlichen Körper. Forscher des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie (MPI) haben gemeinsam mit schwedischen Kollegen die Evolution von HI-Viren mehrerer Patienten über einige Jahre hinweg analysiert. Die in "eLife" veröffentlichten Ergebnisse könnten nicht nur bei der Entwicklung von Impfstoffen hilfreich sein, sie erlauben auch Rückschlüsse auf die Evolution anderer Organismen.
Um die Evolution und Entstehung von Virusvarianten nachvollziehen zu können, haben die Forscher das Erbgut von Viren aus von HIV-Patienten über mehrere Jahre mittels neuster Sequenzier-Methoden untersucht. Die Wissenschafter konnten bestätigen, dass die Ausbildung von Virusvarianten in den einzelnen Patienten einem Muster folgt. Bestimmte Regionen häufen dabei sehr viel schneller Mutationen an als andere: Regionen im Erbgut des Virus, die wichtige Funktionen für die Vermehrung beinhalten, variieren weniger stark, und fast alle Varianten stimmen an diesen Positionen überein.
An allen Stellen im Genom, an denen Mutationen dem Virus weniger schaden, steigt die Variation hingegen stetig, und an einem Großteil dieser Positionen existieren mehrere Varianten. Diese Vielfalt erlaubt der Viruspopulation, sich schnell anzupassen. Bis zu ein Prozent Veränderungen in der DNA sammeln die Viren pro Jahr an. Die häufigen Mutationen helfen dem Virus, sich vor dem Immunsystem zu verstecken, was oft auf Kosten der Funktionalität der Viren geht.
Wählerisches Virus
Die Forscher berechneten für jede Stelle im Genom von HI-Viren die Sequenz, die global am häufigsten vorkommt. Diese sogenannte Konsensussequenz verglichen sie mit den Sequenzen aus den Patientenproben. Überraschenderweise waren etwa 30 Prozent aller Veränderungen Rückmutationen zur Konsensussequenz. "Eine der wesentlichen Beobachtungen war, dass das Virus eine Art Lieblingssequenz hat", sagt Richard Neher vom MPI. "Das Immunsystem versucht, das Virus von dieser Sequenz wegzutreiben. Wenn der Druck durch das Immunsystem aber aufhört, gehen die Viren wieder zu dieser Sequenz zurück", so der Forscher.
Das passiert zum Beispiel, wenn das Virus auf den nächsten Menschen übertragen wird, dessen Immunsystem andere Teile des Virus erkennt. Die Forschungsergebnisse könnten dabei helfen, Impfstoffe gegen HIV zu finden: "Obwohl es viele verschiedene Virusvarianten gibt, haben wir herausgefunden, dass die 'Schwachstellen' der Viren bei unterschiedlichen Patienten oft dieselben sind. Man sollte diese gemeinsamen Schwachstellen jetzt weiter untersuchen, um effektive Impfstoffe zu entwickeln", sagt Fabio Zanini (ebenfalls MPI), Erstautor der Studie.
Die Entwicklung der HI-Viren in Patienten sei auch ein gutes Modell, um allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Evolution zu analysieren. Bei HIV ließe sich die Evolution direkt von Jahr zu Jahr beobachten und Prozesse studieren, die in anderen Organismen viele Millionen Jahre dauern würden, so die Forscher. (red, 19.12.2015)