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Südkoreas Staatsanwaltschaft präsentiert einige der Plagiate.

Foto: EPA

Wer nicht mit der koreanischen Halbinsel vertraut ist, hätte die Nachricht glatt für eine Satire halten können: Die südkoreanische Staatsanwaltschaft beschuldigt mehr als 200 Professoren an insgesamt 50 Universitäten, bereits publizierte Bücher unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht zu haben. Besonders dreist: Die Angeklagten hätten lediglich die Umschlagtitel ausgewechselt. Dabei soll es sich um eine "seit den 80er-Jahren gängige Praxis" handeln, und zwar unter der Ägide der Wissenschaftsverlage, die verstaubte Publikationen als neu angepriesen und die Originalautoren mit Tantiemen ruhiggestellt haben.

Das vielleicht Schockierendste daran: Sie ging im hiesigen Mediendiskurs geradezu unter. Wer nämlich sehr wohl mit der koreanischen Halbinsel vertraut ist, für den kam der Plagiatsskandal nicht überraschend. Ein Rückblick auf die letzten Jahre entlarvt Südkorea als Copy-and-paste-Republik.

Erst im Juni wurde bekannt, dass die wohl bekannteste lebende Autorin des Landes, Shin Kyung-sook, ganze Passagen einer ihrer Kurzgeschichten vom japanischen Autor Mishima Yukio übernommen hatte.

Vor zehn Jahren sorgte der Stammzellenforscher Hwang Woo-suk für den wohl größten Skandal in der jüngeren Wissenschaftsgeschichte, als er fälschlicherweise behauptete, erstmals menschliche Stammzellen aus einem geklonten Embryo gewonnen zu haben. Zynisch könnte man hinzufügen: Auch das Geschäftsmodell von Samsung, dem größten Konglomerat des Landes, hat lange auf dem Abkupfern ausländischer Produkte gefußt.

Südkoreas Obsession

Von vielen Experten wird die Plagiatsepidemie vor allem auch als Folge der Asienkrise Ende der 1990er-Jahre gesehen, die eine traumatisierte Bevölkerung in einem erbitterten Kampf um rar gewordene Arbeitsplätze zurückgelassen hat. Zudem hat das bildungshungrige Südkorea seit jeher eine akademische Titel betreffende Obsession, und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die konfuzianische Gesellschaft noch von einem streng hierarchischen Kastensystem dominiert.

Vor zwei Jahren haben US-Universitäten ihr Bewerbungsverfahren das erste Mal überhaupt für ein gesamtes Land gesperrt – nachdem Testfragen an südkoreanischen Nachhilfeinstituten zirkulierten. Als 2012 ein Abgeordneter die Seminararbeit eines Studenten als seine Dissertation ausgegeben hat, kommentierte die Tageszeitung Korea Times: Plagiate würden bis dato nicht als Verbrechen angesehen, solange man sie nur clever genug verberge.

"Die Studenten machen nur das, was sie von ihren Professoren vermittelt bekommen", sagt ein Germanistikprofessor, der sowohl in Südkorea studiert als auch unterrichtet hat. "Als ich Student war, wurde derjenige, der nicht plagiierte, ausgelacht."

Eigene Gedanken als Tabu

Dafür sind auch die historischen Wurzeln des Landes mitverantwortlich: In alten Dorfschulen bestand die Aufgabe der Schüler vor allem darin, die Wörter ihres Lehrers zu kopieren. Eigene Gedanken, die möglicherweise seine Autorität infrage stellen könnten, galten als Tabu.

Die Leidenschaft für akademische Titel wird dem Land jedoch längst zur Last, vor allem weil das Bildungssystem Auswendiglernen über kreatives Denken stellt. Genau diese Hinwendung zur "kreativen Wirtschaft" proklamiert jedoch die amtierende Präsidentin Park Geun-hye. Sie weiß, dass Südkorea mit der Arbeitswut seiner Samsung-Manager und den starren Unternehmenshierarchien langfristig nicht mehr konkurrenzfähig sein wird.

Seit einigen Jahren verlangen nun viele Universitäten in ihrem Eingangstest persönliche Essays, in denen sich die Studenten möglichst originell selbst vorstellen sollen. Wenig später hagelte es aber Beschwerden der Prüfungsauswerter: Auch diese Texte waren oft plagiiert. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 15.12.2015)