Zur Titelgeschichte – "Die mit der Angst spielen" – brachte der Londoner Economist am Freitag die Fotos des US-Milliardärs Donald Trump, der in seinem Kampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner ein Einreiseverbot für alle Muslime fordert, der erfolgreichen Vorsitzenden des populistischen Front National Marine Le Pen und des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der als Wortführer der nationalistischen Abschottung in Mitteleuropa gilt.
Sorge und Schock lösen nicht nur die unbestrittenen Erfolge der abgebildeten drei Angstmacher aus. Auch in einer Reihe anderer Länder, von der Schweiz bis Polen, von Schweden bis Holland, und nicht zuletzt in Deutschland und Österreich, schneiden die populistischen und die radikalen Kräfte bei Wahlen und bei Meinungsumfragen besonders gut ab. Stimmungsbild und Motive sind vergleichbar und unzweifelhaft. Die Bürger sind in Sorge wegen der Flüchtlinge und des Terrors.
Die Flüchtlingsströme im Allgemeinen und die Einwanderung von Muslimen im Besonderen lösen tiefes Unbehagen und wachsende Vorbehalte, sogar in Schweden, der "humanitären Supermacht", aus. Die sozialdemokratisch-grüne Regierung musste Grenzkontrollen, die Beschränkung des Familiennachzugs und der Zahl der Aufenthaltsgenehmigungen beschließen. In diesem Jahr zählte man über 200.000 Migranten bei einer Gesamtbevölkerung von zehn Millionen, pro Kopf gerechnet die höchste Zahl in Europa. Die Situation sei unhaltbar geworden, sagte der sozialdemokratische Regierungschef Stefan Löfven. Kein Wunder, dass die rechtspopulistischen Schwedendemokraten ihren Stimmenanteil bei den Wahlen zwischen 2006 und 2014 von 2,9 Prozent auf 13 Prozent vervierfachten, und laut den jüngsten Umfragen sind sie bereits mit 20 oder sogar 25 Prozent die stärkste schwedische Partei.
In Deutschland hat die AfD (Alternative für Deutschland), die zuerst nur gegen den Euro, zuletzt aber von Tag zu Tag stärker gegen die Flüchtlinge hetzt, ein Stimmenpotenzial von acht bis zehn Prozent, Tendenz steigend. Noch viel bedenklicher sind allerdings auch die rapide Zunahme der Gewalttaten und die Meldungen, dass fast täglich Flüchtlingsheime angezündet werden. "Verliert Deutschland seine Mitte?", fragt der Spiegel, dessen Umschlagthema "Die verstörte Nation" ist. Laut der letzten großen Umfrage befürchten 54 Prozent der Deutschen eine Steigerung der Terrorgefahr wegen des Flüchtlingszuzugs, und 65 Prozent wollen eine Obergrenze pro Jahr für die Zuwanderung.
Es ist also nicht überraschend, dass die Popularität der Bundeskanzlerin, die das Time-Magazin (und Profil) zur "Person des Jahres" gekürt hat, derzeit stark sinkt. Der innere Zusammenhalt Deutschlands, dieser Bastion der offenen Gesellschaft und des Wohlfahrtsstaats (vgl. Timothy Garton Ash, STANDARD vom 12./13. Dezember) wird durch den wiedererstarkenden Nationalismus von innen und von außen gefährdet. Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, lobte kürzlich Angela Merkel als "einen unglaublichen Stabilitätsfaktor in Europa, mit großer Weitsicht." Trotzdem könnte der Wind des Zornes auch diese außergewöhnliche Kanzlerin von der politischen Bühne, früher als heute erwartet, wegfegen. (Paul Lendvai, 14.12.2015)