Offene Begeisterung zeigte der britische Premier David Cameron kürzlich, als er den festlichen Weihnachtsbaum vor seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street 10 sah. In Sachen Brexit bleibt er aber nach wie vor zurückhaltend – und bestenfalls vage.

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Natürlich wird es beim EU-Gipfel diese Woche auch noch um andere Themen gehen – doch aus britischer Sicht zählt vor allem die Debatte über die eigene Befindlichkeit. Weil Premier David Cameron den EU-Feinden innerhalb und außerhalb seiner konservativen Partei eine Volksabstimmung versprochen hat, der eine Reform der Gemeinschaft vorausgehen soll, müssen die Staats- und Regierungschefs ab Donnerstagabend über Großbritanniens Forderungen sprechen. Man wünsche sich eine "robuste Diskussion", heißt es vorab aus London.

Doch wenn nicht alles täuscht, wird die Diskussion am Brüsseler Verhandlungstisch noch "robuster" ausfallen als dem Konservativen lieb sein wird – so war es jedenfalls vergangene Woche bei Camerons Besuchen in Bukarest und Warschau.

Zum britischen Forderungskatalog gehört auch eine Reduzierung der sogenannten Aufstockerzahlungen – auch als Kombilohn oder "tax credits" bekannt. Mit diesen greift der Staat den Beziehern von Billigeinkommen unter die Arme. Diese sollten den Londoner Plänen zufolge an EU-Bürger anderer Staaten erst nach vierjährigem Arbeitsaufenthalt auf der Insel ausgezahlt werden.

Idee der "Wohnortbindung"

Gegen diese Pläne wehren sich besonders jene mittel- und osteuropäischen Länder, aus denen im vergangenen Jahrzehnt Hunderttausende junge Leute kamen. "Wir sind unterschiedlicher Meinung", schrieb die polnische Neo-Ministerpräsidentin Beata Szydlo ihrem Besucher ins Stammbuch.

Schon jonglieren die Briten mit neuen Ideen: Jetzt ist von einer "Wohnortbindung" die Rede. Dadurch würden auch eigene Staatsbürger am Anfang der Berufskarriere für die Dauer von vier Jahren vom Kombilohn ausgeschlossen.

Was dann aber mit Briten geschehen soll, die aus dem Ausland zurückkehren und zu Hause den Sozialstaat in Anspruch nehmen wollen? Das sei noch nicht so ganz zu Ende gedacht, heißt es in Londoner Regierungsstuben beschwichtigend. Und es wird hinzugefügt: Man wolle doch auch den EU-Partnern helfen – schließlich könnten die doch kein Interesse daran haben, dass ihre jungen Ärzte lieber in Manchester praktizieren als im bulgarischen Plowdiw oder im polnischen Krakau.

Kritik an London

Das empfinden viele als kaum erträgliche Scheinheiligkeit von den Verantwortlichen eines Landes, dessen Gesundheitssystem NHS seit Jahrzehnten durch afrikanische Krankenschwestern und indische Ärzte aufrechterhalten wird. Für Kritiker grenzt es auch an Unverschämtheit, wenn Außenminister Philip Hammond seine Bereitschaft erklärt, über "andere Vorschläge zur Reduzierung der Einwanderung" nachzudenken – als müssten die EU-Partner praktikable Ideen liefern, weil die eigenen britischen Beamten dazu nicht in der Lage seien.

Zudem weisen Experten von der unabhängigen Budgetbehörde OBR darauf hin, die angestrebten Einschränkungen würden an der Einwanderung ohnehin nur wenig ändern: Die viel beschworenen "Abzocker" seien ohnehin nur eine winzige Minderheit.

Attraktive Insel

Dennoch bleibt Großbritannien für junge Leute vom Kontinent attraktiv: Zum einen sprechen die meisten immerhin ein bisschen Englisch; und zum Anderen bieten die vergleichsweise boomende Wirtschaft und der flexible Arbeitsmarkt die Möglichkeit zu einigermaßen ordentlich bezahlter Erwerbstätigkeit, die viele Herkunftsländer ihrem Nachwuchs nicht bieten können.

Europas Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, wie es die Briten fordern, müsste also im allgemeinen Interesse liegen. Ebenso wird die EU der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass es in der EU auf Dauer auch andere Währungen als den Euro geben wird. Und außerdem wünscht London, die nationalen Parlamente stärker als zuletzt in die Brüsseler Gesetzgebung einzubeziehen, um – so hört man – notfalls "Albernheiten" des EU-Parlaments einen Riegel vorzuschieben.

Im Herbst gab sich London eine Zeitlang entschlossen, schon auf dem Gipfel diese Woche eine Einigung anzustreben – dann hätte die Volksabstimmung schon im Mai oder Juni über die Bühne gehen können. Nun soll aber erst der nächste Gipfel im Februar 2016 Ergebnisse bringen, und die Abstimmung könnte im September folgen. Tapfer beteuert Camerons Team, am Spielraum habe sich nichts verändert. In Wirklichkeit tickt die Uhr: Bis spätestens Ende 2017 muss das Referendum über die EU-Mitgliedschaft steigen. (Sebastian Borger aus London, 14.12.2015)