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Ein Frontex-Helikopter stoppt ein mutmaßliches Schlepperboot vor der griechischen Insel Lesbos. Die EU will in Zukunft ihre Außengrenzen besser schützen.

Foto: REUTERS/Yannis Behrakis

In den Jahren 2009 bis 2014 sind insgesamt 813.000 Menschen illegal in die Europäische Union gekommen beziehungsweise haben die Grenze in ein Mitgliedsland illegal überschritten. Allein 2015 dürften es nun in nur einem Jahr fast doppelt so viele sein wie in den sechs Jahren zuvor. Das geht aus einem Bericht der EU-Kommission an den Ministerrat und das Europäische Parlament hervor, der heute, Dienstag, präsentiert wird.

"Zwischen Jänner und November wurden beinahe 1,5 Millionen illegale Grenzübertritte festgestellt", heißt es in dem zehnseitigen Dokument, das dem STANDARD vorliegt, was einem "Allzeithoch" von illegalen Ankünften gleichkommt. Legale Einreisen sind daneben nicht ausgewiesen, auch eine Unterscheidung zwischen Migranten und echten Kriegsflüchtlingen wird nicht vorgenommen.

Die zuständigen Kommissare Frans Timmermans (Vizepräsident, Grundrechte) und Dimitris Avramopoulos (Sicherheit) halten in ihrer Einleitung lapidar fest, "dass Drittstaatsangehörige in der Lage waren, die externen Grenzen illegal zu überschreiten und dann ihre Reise durch Europa fortsetzen konnten, ohne identifiziert, registriert und sonst wie einem Sicherheitscheck unterworfen zu werden". Dieses Ausmaß an Sekundärbewegungen habe die Einheitlichkeit des Schengensystems infrage gestellt.

1.500 Grenzbeamte geplant

Das Papier enthält, wie berichtet, einen Vorschlag, wie man die Kontrolle der EU-Außengrenzen durch Einführung einer EU-Küstenwache und eines EU-Grenzschutzes mit eigenen Beamten verstärken solle. 1.500 Grenzbeamte sollten das am Ende sein, die von der Kommission beziehungsweise dem EU-Innenministerrat direkt gesteuert würden.

Das bisherige System habe sich "als völlig unzureichend erwiesen, um eine wirksame und integrierte Grenzsicherung zu garantieren". Die EU-Grenzschutztruppe soll in enger Kooperation mit nationalen Behörden wirken, würde aber auch direkt in nationalen Kompetenzen eingreifen können – bisher Sache der Mitgliedsstaaten.

Sollten EU-Länder – wie auch seit Monaten Griechenland – nicht in der Lage sein, die EU-Außengrenzen zu sichern, dann würde eine rasche Eingreiftruppe aushelfen. Nicht nur deshalb und wegen der überraschend hohen Zahl an illegalen Grenzübertritten (bisher war man offiziell von weniger als einer Million ausgegangen) dürfte der Vorschlag bei den EU-Innenministern für Aufregung sorgen.

Polen ablehnend

Die neue polnische Regierung der nationalkonservativen PiS-Partei gab noch vor der offiziellen Präsentation der Kommission bekannt, dass sie derartige Eingriffe in Hoheitsrechte nicht akzeptieren werde, sagte Außenminister Witold Waszczykowski.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hingegen meinte am Rande des EU-Außenministerrats in Brüssel, er würde solche Eingriffe befürworten: "Das ist absolut der richtige Weg, wir brauchen dringend Grenzsicherheit an den EU-Außengrenzen."

Der Vorschlag ist auch deshalb so brisant, als diese Woche nicht nur der reguläre EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs stattfindet, der vermutlich ganz im Zeichen der Flüchtlingskrise stehen wird. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat beim CDU-Parteitag angekündigt, dass man für eine deutliche Abnahme des Flüchtlingsstroms sorgen will.

Davor gibt es – unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Werner Faymann – ein Treffen der Regierungschefs von zehn "willigen" Staaten, die freiwillig für eine bessere Aufteilung von Flüchtlingen in der Union sorgen sollen. Dazu gehören die Beneluxländer, Deutschland, Schweden, Finnland, vermutlich Frankreich, die sich mit der Türkei (Premierminister Ahmet Davutoğlu hat sich angekündigt) und Griechenland zusammentun wollen. Wegen zahlreicher Blockaden einzelner Länder kommt das Quotenmodell der EU-Kommission nicht vom Fleck.

EU-Beitrittsschritt Serbien

Kurz sagte, es sei wichtig, dass "der Bundeskanzler und Österreich da eine wichtige Rolle einnehmen", humanitäre Hilfe vor Ort sei entscheidend. Er könne auch der Idee etwas abgewinnen, dass man zehntausende Flüchtlinge aus der Türkei auf legalem Weg aufnimmt, wenn damit Ordnung in den illegalen Zustrom gebracht werde. Für konkrete Beschlüsse sei es aber noch zu früh.

Mit Davutoğlu sollen jedenfalls erste konkrete Maßnahmen des vor zwei Wochen beschlossenen EU-Türkei-Pakets besprochen werden – zur baldigen Umsetzung. Quasi im Vorgriff auf verbesserte Verhältnisse wurde Montag ein weiteres Verhandlungskapitel (Wirtschaft und Währung) bei den Beitrittsgesprächen eröffnet.

Noch wichtiger: Die EU startete Montag konkret auch die 2014 eingeleiteten Beitrittsverhandlungen mit Serbien. Zwei Kapitel wurden zur Verhandlung eröffnet. Nach den Worten des österreichischen Außenministers sei dies ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung auf dem Westbalkan. Serbiens Premierminister Aleksandar Vučić sprach vom 14. Dezember als dem "revolutionärsten Tag in der neueren serbischen Geschichte". (Thomas Mayer aus Brüssel, 14.12.2015)