Angela Merkel hielt auf dem Parteitag der CDU eine der wichtigsten Reden ihrer Amtszeit

cdutv

Angela Merkel ist hart im Nehmen. In ihrer zehnjährigen Kanzlerschaft hat sie sich schon viel Kritik anhören und so manch peinliches Geschenk andrehen lassen müssen. Also bringt sie auch der große Plüschwolf, den ihr der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg – der heißt nämlich Guido Wolf – am Montag beim CDU-Parteitag in Karlsruhe in die Hand drückt, nicht aus der Fassung.

"Ich kann damit relativ locker umgehen, weil der Wolf in Brandenburg schon zu Hause ist", sagt sie, und die rund eintausend Delegierten lachen. Überhaupt herrscht schon zum Beginn des Treffens eine freundliche und lockere Atmosphäre. Keine Spur von Rachegelüsten jener, die von Merkel endlich Obergrenzen bei den Flüchtlingszahlen fordern.

Entscheidung mit Österreich

Merkel muss sich an diesem Parteitag keiner Wiederwahl stellen. Die Herausforderung ist dennoch groß: Es gilt, die Kritiker ihrer Asylpolitik zu überzeugen. Zuerst lässt sie das Jahr 2015 Revue passieren: Charlie Hebdo-Terror, Germanwings-Absturz, Griechenland-Krise, G7-Gipfel in Elmau, der Krieg in Syrien.

Bald kommt sie auf die Flüchtlingsbewegung zu sprechen und erklärt noch einmal, warum sie mit Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) die Entscheidung gefällt hat, die Türen für jene, die an der österreichisch-ungarischen Grenze gestrandet waren, zu öffnen: "Deutschland und Österreich haben dann eine Entscheidung getroffen, diese Menschen ins Land zu lassen. Dies war nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ." An dieser Stelle applaudieren die Delegierten lang und anhaltend.

Zum Verrücktwerden

Natürlich nimmt das Thema Flüchtlinge sehr viel Raum in Merkels Rede ein. "Europa ist von dieser Flüchtlingsbewegung im Innersten herausgefordert. Das ist eine historische Bewährungsprobe für Europa", sagt sie. Und sie wolle, "dass Europa diese Bewährungsprobe besteht". Alles, was man in Europa mache, sei "unendlich mühsam", räumt Merkel ein und sagt auch: "Manchmal ist es zum Verrücktwerden."

Doch sie will die Delegierten beim Ehrgeiz packen und sagt: "Europa hat immer die Prüfungen bestanden." Also werde man auch diesmal "unseren Beitrag leisten". Denn es gehöre zur "Identität unseres Landes, Großes zu schaffen". Merkel erinnert an die Aufbaujahre nach dem Krieg, an die jahrzehntelange Teilung des Landes. Heute sei Deutschland geeint und wohlhabend.

Langfristige Perspektive

Dann sagt Merkel jenen Satz, der die Kritiker beruhigen soll: "Wir werden die Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren – weil das im Interesse aller ist." Doch sie bittet um Geduld und um einen Blick ins Jahr 2040: Man stelle sich vor, in diesem Jahr würden die Menschen auf Deutschland im Jahr 2015 zurückblicken und dann feststellen, "dass wir uns nicht einmal vier Monate Zeit genommen haben und schon die Flinte ins Korn geworfen haben".

Was würde man da wohl über Deutschland sagen? Merkel weiß es: "Sie haben nicht an sich geglaubt. Ihre Vorfahren hatten Jahrzehnte Geduld, und sie hatten nicht einmal vier Monate Zeit." Es gibt viel Applaus für die Kanzlerin, nicht nur an dieser Stelle. Immer wieder braust Beifall auf.

Merkel spricht überzeugt, klar und kämpferisch. Einmal mehr zählt sie auf, wie sie die Zahlen reduzieren will: Sach- statt Geldleistungen, schnellere Abschiebungen, weniger Familiennachzug, Lage der Flüchtlinge in der Türkei verbessern, besserer Schutz für die EU-Außengrenzen, Hotspots und europäische Solidarität bei Verteilung der Flüchtlinge.

Dicke Bretter sind zu bohren

"Ich weiß, es sind dicke Bretter, aber wir müssen diese dicken Bretter bohren", sagt Merkel. Sie erinnert auch daran: "Es kommen keine Menschenmassen: Es kommen einzelne Menschen!" Als Merkel nach gut einer Stunde fertig ist, passt das, was nicht viele erwartet haben: Die CDU-Delegierten "flippen aus". Bravorufe, Standing Ovations, minutenlanger frenetischer Applaus. Die Partei feiert Merkel wie einen Popstar. Kritik? War da was?

Es liegt auch daran, dass Merkel ihren Kritikern in letzter Minute entgegengekommen ist. Noch am Sonntagabend wurde der Leitantrag für den Parteitag abgeändert. Der Begriff "Obergrenze" taucht zwar nicht auf; doch Merkel stimmte einer etwas deutlicheren Formulierung zu. Nun heißt es: "Wir sind entschlossen, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen spürbar zu verringern." Denn alles andere würde Deutschland "überfordern". (Birgit Baumann aus Karlsruhe, 14.12.2015)