Gaston Salvatore, streitbarer Dichter und Denker.

Foto: Matthias Cremer

Venedig – In seinem letzten Stück, "Die moralische Nacht", beschäftigte sich Gaston Salvatore mit dem existenziellsten Thema menschlichen Seins: dem Sterben. "Ich suche", sagte er bei einem Besuch in seinem venezianischen Palazzo mit Blick auf den Canale della Giudecca, "die Basis für eine ökonomische Ethik. Die kann man nur bei Sterbenden finden, denn im Sterben sind wir alle gleich. Daraus kann eine Ethik entstehen – eine der Sterbenden."

Aufgeführt wurde das Werk nicht. Dass er von Intendanten und Regisseuren weitgehend vergessen wurde, kränkte den Neffen des 1973 ermordeten chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende zutiefst. Immerhin wurden seine Stücke früher auf den wichtigsten Bühnen gezeigt, etwa in Bochum oder im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Und die Uraufführung seines von Hans Werner Henze vertonten Gedichtzyklus "Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer" in Rom wurde europaweit im Radio übertragen.

Auch in Wien wurden seine (gesellschafts)politisch und zeithistorisch relevanten Dramen gespielt. "Stalin", uraufgeführt 1987 am Berliner Schillertheater, inszenierte noch im selben Jahr George Tabori mit Angelica Domröse und Hilmar Thate im Theater Der Kreis. Zu einem Eklat kam es allerdings 2008 anlässlich der Uraufführung seines Charles-Darwin-Stückes "Feuerland" im Kasino am Schwarzenbergplatz. Regisseurin Tina Lanik hatte eine eigene, empfindlich gekürzte Bühnenfassung erstellt. Salvatore distanzierte sich empört von der Aufführung. Ans Burgtheater kam er später dennoch des Öfteren: als streitbarer Intellektueller nahm er an zahlreichen Podiumsdiskussionen teil.

Geboren 1941 in Chile, dem Pass nach Italiener: Der Sohn eines italienischen Aristokraten und einer wohlhabenden chilenischen Mutter war Großbürger, Revolutionär, linker Querdenker, ein eleganter Pendler zwischen Welten und Kontinenten, Sprachen und Kulturen. Sein literarisches Werk verfasste Gaston Salvatore, ermuntert von seinem Freund Hans Magnus Enzensberger, auf Deutsch.

Nach seinem Jusstudium in Chile landete Salvatore dank eines Postgraduate-Stipendiums mitten in der Berliner Studentenbewegung. 1969 wurde er gemeinsam mit Rudi Dutschke wegen schweren Landfriedensbruches zu neun Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Salvatore flüchtete nach Italien. Erst als 1972 mit der Uraufführung seines Stückes "Büchners Tod" der Neubau des Darmstädter Staatstheaters eröffnet wurde, amnestierte ihn der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann.

Gaston Salvatore erlag, wie erst jetzt bekannt wurde, am vergangenen Freitag einem Krebsleiden. (Andrea Schurian, 15.12.2015)