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In Spanien wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt.

Foto: ap/Paul White

Das mit etwas mehr als 45 Millionen Einwohnern viertgrößte Land der EU ruft seine Bevölkerung am Sonntag zu den Urnen. Die Wahl wird nicht nur ein Ende der konservativen PP-Alleinregierung unter Regierungschef Mariano Rajoy bringen, sondern auch für eine seit der Wiedererlangung der Demokratie in den späten 70er-Jahren bisher unbekannte Parteienvielfalt im spanischen Parlament sorgen.

In einem sind sich viele Spanier und Spanierinnen, die man dieser Tage fragt, einig: Eine neuerliche (Allein-)Regierung einer der beiden Altparteien PSOE und PP bringt für das Land nichts Gutes. "Mir ist es egal, ob Orange oder Violett gewinnt (die Parteifarben von Ciudadanos beziehungsweise Podemos, Anm.), Hauptsache, die alten korrupten Parteien sind weg von den Trögen der Macht", sagt Miguel, ein 36-jähriger Krankenpfleger. Er hatte in seinem bisherigen Leben noch keine längere fixe Anstellung und ist momentan arbeitslos.

Das Thema Korruption ist in den politischen Debatten allgegenwärtig. Nach einer Reihe von Skandalen wird sowohl den Sozialisten als auch den Konservativen in dieser Frage von einem großen Teil der Bevölkerung misstraut. Der Politikwissenschaftsstudent Simon bringt es etwas resigniert auf den Punkt: "Es ist mir schon vollkommen egal, ob links oder rechts. Ich bewerte Parteien nicht mehr nach ihrem Programm, sondern nach der moralischen Integrität ihrer Kandidaten und deren Glaubwürdigkeit." Wählen darf er am 20. Dezember nicht. Obwohl er schon mehr als 15 Jahre in Spanien lebt, ist der schwedische Staatsbürger nur bei Bezirkswahlen (Municipios) stimmberechtigt.

"... aber immerhin geben sie Arbeit"

Auch José wird nicht wählen. Er ist Langzeitarbeitsloser und lebt seit fünf Monaten auf der Straße. Manchmal erbettelt er am Tag keine 50 Cent, in Granada, einer Stadt, die täglich von tausenden Touristen besucht wird. José hat schon mit 13 Jahren die Schule abgebrochen, zuerst, um auf Ibiza ein Stück Land zu bewirtschaften. Später arbeitete er wie so viele junge Spanier am Bau, wo man in Vorkrisenzeiten sehr gut verdienen konnte. Seit einem Arbeitsunfall – offiziell angemeldet war er zu diesem Zeitpunkt so wie die Mehrheit seiner Kollegen nicht – sind zwei Finger seiner rechten Hand gelähmt. Die schwere Arbeit könnte er auch bei genügend Arbeitsplätzen nicht mehr verrichten.

"Ich weiß, dass ich durch meine Arbeitskraft die reichen Unternehmer nur noch reicher mache, aber immerhin geben sie Arbeit. Die Linke kann nicht wirtschaften", plädiert er für Rajoys PP. Jene Partei, die seit vier Jahren an der Macht ist und es zulässt, dass Menschen wie José auf der Straße leben. An Podemos-Chef Pablo Iglesias lässt er kein gutes Haar: "Ich kann den Namen des Pferdeschwanzes (Anspielung auf sein langes, stets zusammengebundenes Haar, Anm.) nicht mehr hören. Er wird Spanien genauso in den Ruin treiben, wie es Tspiras mit Griechenland gemacht hat."

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Premier Mariano Rajoy (Partido Popular) auf Wahlkampftour.
Foto: REUTERS/Andrea Comas

Problem Korruption

Auch Rosa, alleinerziehende Mutter von zwei Kleinkindern und Mitglied einer der reichsten Familien Andalusiens, hält nichts von den linken Parteien und deren "kommunistischem Gedankengut". So wie José wird sie PP wählen. "Es sind doch alle Parteien korrupt und ziehen uns das Geld aus der Tasche. Rajoy versteht wenigstens etwas von Ökonomie", sagt sie.

Carmela ist Mitarbeiterin einer kleinen vegetarischen Tapas-Bar etwas außerhalb des Zentrums. Zahlungskräftige Touristen verirren sich kaum in die bunt bemalte und künstlerisch eingerichtete Bar, die Michael Endes Romanfigur Momo gewidmet ist. Die Gruppe, die das Lokal betreibt, engagiert sich auch in der Flüchtlingshilfe, versucht regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen und gibt sich betont antikapitalistisch. Auch einen kleinen Secondhand-Laden für Kleidung und eine Büchertauschecke gibt es an diesem Ort.

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Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias.
Foto: REUTERS/Heino Kalis

Carmela ist skeptisch, ob Podemos wirklich Veränderung bringen kann: "Anfangs habe ich, so wie viele hier, große Hoffnung in die Partei gesetzt. Aber Iglesias ist der Erfolg offenbar zu Kopf gestiegen. Gemeinsam mit einem kleinen Kreis an Vertrauten will er den sozialen Bewegungen nun ihre Inhalte diktieren. Er verhält sich schon so wie die Altparteien." Sie hofft auf das Zustandekommen einer lokalen Bürgerliste, so wie bei den Bürgermeisterwahlen in Barcelona und Madrid. In den beiden größten spanischen Städten regiert nun jeweils eine aus den sozialen Bewegungen stammende Frau das Rathaus. "Was die beiden in so kurzer Zeit schon geleistet haben, ist fantastisch", sagt Carmela. Ciudadanos ist für sie keine Alternative: "Die sind noch schlimmer als der PP."

Offene Wunde Arbeitslosigkeit

Damit hat sie eine gegenteilige Meinung zu Alberto. "Wenn PSOE oder Podemos an die Macht kommt, sind alle Anstrengungen der vergangenen Jahre umsonst gewesen. Natürlich hat es im PP Fälle von Korruption gegeben, aber sie haben es auch geschafft, dass Spanien langsam, aber sicher aus der Krise kommt und im letzten Jahr ein Wachstum von 3,2 Prozent verzeichnen konnte. Es gibt noch viel zu tun und offene Wunden wie die 22 Prozent Arbeitslosigkeit, die eine regelrechte Barbarei sind. Die Regierung hat unpopuläre und schwierige, aber notwendige Entscheidungen getroffen, damit Spanien wieder Wettbewerbsfähigkeit erlangt. Unterm Strich ist es für mich die kompetenteste Partei", sagt der Architekturstudent, der auch mit Ciudadanos sympathisiert.

Laura hat hingegen von Rajoy genug, sie setzt ihre Hoffnung in die Linke. Vor Beginn der Krise betrieb sie vier Geschäfte mit insgesamt 13 Angestellten, nach sechs Jahren Austeritätspolitik sind davon nur zwei mit zwei Angestellten übriggeblieben. "Solange das einfache Volk kein Geld in der Tasche hat, wird auch der Konsum nicht anziehen und wir niemals aus der Krise kommen. Es braucht eine antizyklische Wirtschaftspolitik, damit die Inlandsnachfrage endlich wieder anzieht." Sie schwankt noch zwischen der Linkspartei Izquierda Unida (IU) und Podemos, wobei Erstere in der Vergangenheit auch Fälle von Korruption zu verzeichnen hatte. "Saubere Politik ist das Wichtigste für mich. Mit der Korruption muss endlich Schluss sein", sagt die gebürtige Argentinierin.

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Wahlkampfselfie: PSOE-Generalsekretär Pedro Sanchez.
Foto: EPA/JUAN CARLOS HIDALGO

"Proteste waren nie von Klassenbewusstsein getragen"

Rafael Vazquez ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Granada. Aus seiner Zeit in Madrid kennt er den engsten Zirkel von Podemos sehr gut, deren Ziele er auch teilt. Wählen wird er sie wohl nicht, da er selbst Kandidat einer Tierschutzpartei ist. Die Ursache für den Rückgang in der Wählergunst sieht er hauptsächlich darin, dass die Menschen die Krise im vergangenen Jahr weniger stark spüren oder wahrnehmen. "Die Proteste waren nie von einem Klassenbewusstsein getragen, sondern Ausdruck der sich verschlechternden ökonomischen Situation. Spanien ist ein traditionell bürgerliches Land. Sobald die Menschen etwas mehr Geld in der Tasche haben, wenden sie sich wieder den konservativen Parteien zu, zu denen bis zu einem gewissen Grad auch PSOE zählt."

Vazquez sieht in den Wahlen die einzige Chance für Podemos, die spanische Politik und Gesellschaft zu verändern. "Dieses Fenster, in dem gesellschaftliche Umwälzungen möglich sind, schließt sich gerade. Wenn Podemos dieses Mal nicht gewinnt, dann wird die Partei sehr bald wieder verschwinden beziehungsweise sich fragmentieren." Er glaubt nicht an einen Sieg der Linken, wenngleich er ihn sich wünschen würde.

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Albert Rivera, Ciudadanos.
Foto: EPA/JORGE ZAPATA

Zwei Protestparteien

Auch Pepe glaubt nicht an deren Triumph. Er ist in der Protestbewegung "Stopp Zwangsräumungen" (Stop desahucios) engagiert. Er bedauert, dass sich auf Kosten von Podemos die zweite Protestpartei Ciudadanos etablieren konnte. "Die Partei von Alberto Rivera ist eine konservative, wirtschaftsliberale Partei, die sich kaum vom PP unterscheidet. In manchen Fragen übertrifft sie ihn sogar noch, zum Beispiel in der restriktiven Flüchtlingspolitik." Nicht alle in der Protestbewegung der Empörten, der 15-M, die am 15. Mai 2011 erstmals gegen Sparpolitik und Korruption auf die Straße gingen, seien links gewesen. Kanalisierte zuerst Podemos den gesamten Protest, so teilen sich nun die beiden Parteien diese Stimmen. Dies und das Scheitern der griechischen Syriza sieht er als Hauptgründe für die sinkende Popularität von Iglesias. "Am Ende wird eine Koalition aus PP und Ciudadanos die neue Regierung bilden und die gleiche schlechte Politik wie jetzt fortsetzen", sagt er.

Diese Meinung teilt der von den Kanarischen Inseln stammende Pedro. Er betreibt eine kleine Kunstwerkstatt im Altstadtviertel von Granada, die ihm ein bescheidenes Leben ermöglicht. "Ich liebe, was ich mache, auch wenn es gerade einmal zum Überleben reicht. Aber eine andere Arbeit könnte ich sowieso nicht finden", begründet er seine Selbstständigkeit. Er bedauert die Billigstkonkurrenz auf dem Souvenirmarkt. So wie an anderen touristischen Hotspots überschwemmt standardisierte Ramschware die Stadt, händisch hergestellte und individuell gestaltete Produkte können diesem Preisdruck oft nicht standhalten. Seine Wahl hat er noch nicht getroffen. "Podemos gefällt mir inhaltlich, aber auch der Spitzenkandidat von IU, Alberto Garzón, und sein Charisma sagen mir zu."

Regierung mit absoluter Mehrheit

Einer der von Pedro angesprochenen Ramschwarenhändler ist Abdel Majid. Wie viele gebürtige Marokkaner erhielt auch er schon vor Jahren die spanische Staatsbürgerschaft, die ihn zur Teilnahme an der Wahl berechtigt. Mit Pedro teilt er die Abneigung gegenüber dem regierenden PP und die Unentschlossenheit. Er erhoffte sich von den TV-Diskussionen noch aufschlussreiche Infos. "Aber eines ist für mich klar: Spanien darf nie wieder von einer Partei mit absoluter Mehrheit regiert werden. Es braucht die Kontrolle durch die Opposition, sonst zahlt wieder einmal das Volk die Zeche für die Verfehlungen der Politiker."

Wenig Interesse an den Wahlen zeigt der in Katalonien lebende Rechtsanwalt Joan. Er ist glühender Anhänger der Unabhängigkeitsbewegungen, für die spanische Politik interessiert er sich nur mehr am Rande. Die durch die Wahl im Oktober gestärkten Separatisten rund um Regierungschef Artur Mas genießen sein volles Vertrauen, auch wenn die spanische Verfassung die Abspaltung einer Region klar untersagt. Er wird eine der katalanischen Regionalparteien wählen. Der Wunsch nach einem eigenen Nationalstaat ist sein einziges Wahlmotiv. "Würdest du als Österreicher auf die Idee kommen, eine ungarische Partei zu wählen? Aus demselben Grund werde auch ich keiner spanischen Partei die Stimme geben." (Raphael Kößl, 18.12.2015)