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Ein Symbol für den Gesamtzustand der Politik in Haiti: der Präsidentenpalast in Port-au-Prince nach dem Erdbeben im Jahr 2010. Mittlerweile wurde die Ruine abgerissen, ein Neubau ist noch nicht in Sicht.

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Jovenel Moïse, Kandidat der Glatzkopfpartei.

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Jude Célestin stellt für sein Antreten bei der Stichwahl Bedingungen.

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Port-au-Prince – Wenige Tage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt erreicht die politische Krise in Haiti einen neuen Höhepunkt. Während am Dienstag die erste Gruppe von Wahlbeobachtern der EU ihre Arbeit im Land aufnahm, bekräftigte der Zweitplatzierte des ersten Wahldurchgangs seine Kritik an der Wahlkommission (CEP) und stellt Bedingungen für seine Teilnahme bei der Wahl am 27. Dezember.

"Lächerliche Farce"

Jude Célestin bezeichnete die Ergebnisse der ersten Wahlrunde im Oktober, bei der er den Angaben der CEP zufolge 25 Prozent der Stimmen erhielt, als eine "lächerliche Farce". Einer Gesprächseinladung der CEP erteilte er eine Absage, da sie sich nicht mit ihm treffen müssten, um eine ordnungsgemäße Wahl abhalten zu können. Es sei an der Zeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen um zu verhindern, dass das Land in den Abgrund stürze, sagte der gelernte Maschinenbauingenieur.

Zweiter Antritt

Der 53-jährige Kandidat der "Liga für Fortschritt und Emanzipation Haitis" (LAPEH) tritt zum zweiten Mal für den Präsidentenposten an. 2010 hatte er im ersten Wahldurchgang als Kandidat der Partei Inite (Einheit) des damals regierenden Präsidenten René Préval ebenfalls den zweiten Platz belegt. Doch nach Ausschreitungen von Anhängern des drittplatzierten Michel Martelly, bei denen auch das Hauptquartier der Inite angezündet wurde, wurde die Kandidatur zurückgezogen, wodurch Martelly, der als Sänger "Sweet Micky" Karriere gemacht hatte, in die Stichwahl nachrückte. Diese konnte er gegen die Siegerin des ersten Durchgangs Mirlande Manigat für sich entscheiden.

Glatzköpfiger Bananenfarmer

Célestins Konkurrent bei den diesjährigen Wahlen ist der Bananenplantagenbesitzer Jovenel Moïse, der für die regierungsnahe "Glatzkopf"-Partei (Parti Haïtien Tèt Kale) kandidiert und laut CEP im ersten Durchgang 33 Prozent der Stimmen erhielt.

"G8" fordert Untersuchung

Gemeinsam mit sieben anderen Kandidaten der diesjährigen Präsidentschaftswahl, mit denen er die "G-8" bildet, forderte Célestin nicht bloß eine Neuauszählung, sondern die Absetzung der Mitglieder der Wahlbehörde und die Untersuchung des ersten Wahldurchgangs durch eine unabhängige Kommission. Die CEP könne sich nicht selbst überprüfen. Moïse hingegen bestreitet den Vorwurf des Wahlbetrugs und will lediglich "kleine Unregelmäßigkeiten" erkennen.

"Gute Wahlen sind wichtiger"

In einem Brief an die CEP droht Célestin damit, dass es ab 7. Februar, dem Datum der verfassungsgemäßen Amtsübergabe durch Martelly an seinen Nachfolger, keinen legitimen Staatspräsidenten geben werde. "Die Präsidentschaft ist wichtig", schreibt Célestin, "aber gute Wahlen sind wichtiger für die Entwicklung der Demokratie". "Die Situation des Landes ist schwierig, und morgen kann sie noch trauriger werden", warnt der Kandidat, der aus Protest die Durchführung seiner Kampagne ausgesetzt hat, die CEP: "Jeder Tag, der vergeht, ohne dass Sie die nötigen Entscheidungen treffen, rückt das Land näher an den Rand des Abgrunds".

Die CEP will die Wahl trotzdem planmäßig durchführen. Die Opposition kündigte mittlerweile weitere Proteste an, unter anderem soll auch zu Weihnachten, Silvester und Neujahr gegen die Wahlbehörde und die Regierung demonstriert werden. Sollte Moïse die Stichwahl kampflos für sich entscheiden, droht dem von der politischen Dauerkrise und dem schweren Erdbeben von 2010 gezeichneten Land wohl eine weitere Eskalation. (Michael Vosatka, 16.12.2015)