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Foto: REUTERS / Yannis Behrakis

Am Umgang mit Flüchtlingen entscheide sich der Fortbestand des Projekts Europa, heißt es oft. Kaum ein Thema bewegt derzeit mehr. STANDARD-Redakteurin Karin Riss hat, unterstützt von unseren Korrespondenten, alle Regierungschefs der 28 EU-Staaten um eine schriftliche Stellungnahme zu fünf identischen Fragen gebeten. Nicht alle haben auf die Fragen des STANDARD geantwortet, aber auch beim aktuellen Flüchtlingsgipfel ziehen nicht alle mit.

Sieben Länder, sieben Sichtweisen: Aus den Antworten wird deutlich, warum Tschechiens Ministerpräsident Bohuslav Sobotka Quoten für unmöglich hält, der Rumäne Dacian Cioloş das Koppeln der Themen Migration und EU-Fördergelder als ungerecht empfindet und Estlands Taavi Rõivas glaubt, Europa könne nicht alle aufnehmen. Warum Lettlands Laimdota Straujuma die irakische Armee trainieren will und Österreichs Kanzler Werner Faymann Obergrenzen ablehnt. Plus ein Einblick in die Asylpolitik des britischen Premiers David Cameron. Und was Xavier Bettel aus Luxemburg trotz allem zuversichtlich macht.


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FRAGE 1:

Wie viele Flüchtlinge kann, sollte oder will Ihr Land aufnehmen?

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Bettel: Wir haben eine internationale und eine europäische Verpflichtung. Menschen, die Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung suchen, müssen wir Hilfe anbieten, und das wird Luxemburg auch tun. Es ist schwierig, präzise Zahlen zu nennen, aber es ist klar, dass es rein logistisch gesehen mit einer wachsenden Zahl an Flüchtlingen zunehmend schwieriger wird. Luxemburg hat im Rahmen seines Vorsitzes des Rates der Europäischen Union sehr viel Anstrengungen unternommen, um gemeinsame Lösungen zu finden, die auf dem Prinzip der Solidarität fußen, und diese Bemühungen werden wir auch weiterführen.

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Rumäniens parteiunabhängiger Premier Dacian Cioloş leitet seit November 2015 die Expertenregierung, nachdem sein Vorgänger nach Massendemos gegen Korruption zurücktreten musste. Hat man sich früher gegen verpflichtende Quoten gewehrt, sagt Cioloş nun, dass "Solidarität notwendig" ist.
Foto: APA/EPA/ROBERT GHEMENT

Cioloş: Rumänien hat sich bezüglich der gemeinsamen Bemühungen der Mitgliedsstaaten zur Minderung des Drucks durch illegale Migration stets solidarisch verhalten. Gemäß eines Beschusses des Rats der Europäischen Union ist Rumänien verpflichtet, 1705 Personen bis zum 15. September 2017 aufzunehmen, die innerhalb der EU aus Italien und Griechenland umverteilt werden. Gleichzeitig wird Rumänien 80 Menschen im Rahmen des EU-Umverteilungsprogramms für Nicht-EU-Mitglieder aufnehmen. Ein weiterer Beschluss verpflichtet Rumänien, zwischen 2015 und 2017 weitere 2475 Personen aufzunehmen, wobei situationsabhängig ab Oktober 2016 der Anteil um 2025 Personen erhöht werden könnte. Damit würde die Gesamtzahl der Personen, die internationalen Schutzes bedürfen und aus Italien und Griechenland nach Rumänien transferiert werden, 4500 betragen.

Rõivas: Estland wird den bedürftigen (EU)-Mitgliedstaaten im Rahmen unserer Möglichkeiten aushelfen, das heißt im Verhältnis zu unserer Landesgröße. Wir haben eine moralische und humane Pflicht, Menschen, deren Leben in Gefahr ist, zu helfen. Wir haben unsere Bereitschaft im EU-Rat bekundet.

Sprecherin der Downing Street: Wir haben von Anfang an eine umfassende Lösung für die Flüchtlingskrise angestrebt. Wir müssen die Ursachen anpacken, nicht nur die daraus resultierenden Konsequenzen. Wir haben als Reaktion auf die Syrien-Krise 1,12 Milliarden Pfund humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe gewährt und sind damit der zweitgrößte bilaterale Geber nach den USA. Die Mittel unterstützen Flüchtlinge in den bestehenden Lagern in der Region und helfen den Gastgeberländern, dieFlüchtlinge zu versorgen. Das Vereinigte Königreich wird außerdem innerhalb der nächsten fünf Jahre 20.000 der gefährdetsten Flüchtlinge direkt aus den Lagern ins Land holen und hier unterstützen. Dies basiert auf einem bereits bestehenden Programm zur Hilfe für besonders in Not befindliche Flüchtlinge.

Straujuma: Es gibt eine politische Übereinkunft auf EU-Ebene, innerhalb zweier Jahre 531 Personen miteindeutigem Recht auf internationalen Schutz in Lettland aufzunehmen, beziehungsweise 245 weitere Personen anzusiedeln. Zusätzlich zu diesen 776 Personen hat sich die Anzahl der Asylsuchenden, die die EU-Außengrenzen und Innengrenzen Lettlands überquert haben, während der vergangenen zwei Jahre maßgeblich erhöht.

Tschechiens Premier Bohuslav Sobotka glaubt, dass Flüchtlingsquoten nur schwer umsetzbar wären. Den EU-Quotenbeschluss hat seine Regierung aber respektiert. Innenpolitisch liefert sich der Sozialdemokrat einen Schlagabtausch mit Präsident Milos Zeman, dem er vorwirft, Ängste zu schüren.
Foto: APA/Jeon Heon-Kyun

Sobotka: Tschechien ist auch weiterhin bereit, Menschen zu helfen, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen und bei uns Schutz suchen. Kriegsflüchtlinge bekommen bei uns standardmäßig Asyl. In der Flüchtlingskrise haben wir uns stets solidarisch verhalten, wir haben uns an ihrer Lösung beteiligt, und diese Politik will die tschechische Regierung auch fortsetzen. Ich glaube aber nicht, dass es sinnvoll ist, Ziele oder Quoten festzulegen. So wie sich die Lage darstellt, ist das auch gar nicht möglich. Trotzdem respektiert Tschechien die Mehrheitsentscheidungen der Innen- und Justizminister auf europäischer Ebene und ist bereit, die Verpflichtungen zu erfüllen, die sich daraus ergeben. Bezüglich der Frage, ob die Quoten funktionieren werden, sind wir aber skeptisch. Viele Flüchtlinge kommen mit einer klaren Vorstellung davon, wo in Europa sie sich niederlassen wollen – und sie ziehen dabei die reichsten Staaten vor.

Faymann: Ab welchem Kind sollen wir denn die Türe zumachen? Obergrenzen sind mit dem Menschenrecht auf Asyl nicht vereinbar. Allerdings: Wir müssen die Fluchtbewegung eindämmen. Die entscheidende Frage ist, wie wir möglichst viele Menschen in eine Situation versetzen, in der sie nicht fliehen müssen. Deshalb engagiert sich die internationale Staatengemeinschaft für Frieden in Syrien, deshalb unterstützen wir Flüchtlingslager in der Türkei. Damit Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat bleiben können. Und wir errichten Hotspots an den Außengrenzen, an denen rasch eine erste Entscheidung getroffen werden kann, ob ein Asylrecht besteht oder nicht. Menschen, die vor Krieg flüchten, nach einem 2000 Kilometer langen Weg einen Zaun vor die Nase zu stellen und die Tür zuzumachen, bringt eine humanitäre Katastrophe vor unserer Grenze, aber sicher keine Lösung.

Die ungarisch-serbische Grenze in der Nähe von Roeszke am 16. September.
Foto: AFP PHOTO / ISTVAN RUZSA / AFP / ISTVAN RUZSA

Frage 2:

Was sind die größten Befürchtungen und Hoffnungen, die Sie in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise für Ihr Land sehen?

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Der luxemburgische Premier Xavier Bettel hat derzeit den EU-Ratsvorsitz inne. Er nimmt am Sondergipfel der "Willigen" teil. Bettel will eine europäische Lösung. Für sein eigenes Land betont der Liberale, dass die Aufnahme von Flüchtlingen für das kleine Großherzogtum immer schwieriger werde.
Foto: APA/AFP/Thierry Charlier

Bettel: Ich erwarte mir, dass die Entscheidungen, die wir im Rahmen der Europäischen Union und auch zusammen mit Drittstaaten getroffen haben, auch Wirksamkeit zeigen. Wir müssen die illegale Immigration bekämpfen und die legale besser begleiten und organisieren. Wir brauchen eine Rückkehr zu einem geregelten Umgang mit dieser enormen Flüchtlingswelle, und ich bin auch zuversichtlich, dass wir das schaffen. Darüber hinaus hoffe ich natürlich auch, dass wir es schaffen, die eigentlichen Ursachen zu bekämpfen. Das wird langfristig nicht mit Waffengewalt möglich sein. Wir müssen denMenschen Perspektiven geben, und Luxemburg ist bereit, seinen Beitrag zu leisten.

Cioloş: Derzeit ist Rumänien nicht mit einem Migrantenzustrom konfrontiert. Die Anzahl der Asylanträge verblieb auf dem Niveau der vergangenen Jahre. Das Generalinspektorat für Einwanderung hat Schritte zur Erweiterung der Aufnahmekapazitäten in den bereits vorhandenen sechs Regionalzentren gesetzt. Drei weitere Regionalzentren zur Aufnahme und Abwicklung der Formalitäten befinden sich in Bau. Die Zusammenarbeit mit NGOs wurde verstärkt, und einige Gesetze, die das Asylrecht betreffen, wurden gemäß EU-Richtlinien adaptiert.

Rõivas: Europa war und ist großzügig, aber wir müssen uns auch eingestehen, dass wir nicht alle aufnehmen können. Wenn die Situation vor der Haustüre unerträglich wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen wegziehen. Unsere Hoffnung ist, dass Europa geeinter und seiner Gründungsidee entsprechender aus der Krise hervorgehen wird und ein besserer uns sicherer Ort sein wird. Die Flüchtlingskrise ist von Bedeutung, weil es um europäische Grundwerte wie Solidarität, Sicherheit, Lastenumverteilung und Regeltreue geht. Wir glauben, dass es von immanenter Wichtigkeit ist, die Wurzeln des Problems zu bekämpfen: die Krisen in Ländern wie Syrien, Eritrea und Mali ebenso wie die Armut. Die EU muss auch mit den Transitländern zusammenarbeiten, Länder wie die Türkei, denLibanon oder Libyen unterstützen, damit die Menschen nicht ihr Leben auf der Flucht über das Meer aufs Spiel setzen müssen. Unsere Zurückweisungspolitik muss sich ändern, damit wir uns auf jene konzentrieren können, die wirklich Hilfe brauchen. So müssen wir beispielsweise die Arbeit von Frontex oder die Kontrolle der EU-Außengrenzen verbessern.

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Die als konsensfähig geltende lettische Regierungschefin Laimdota Straujuma trat Anfang Dezember wegen Koalitionsstreitigkeiten in Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage zurück. Die konservative Politikerin führt die Amtsgeschäfte in Lettland zurzeit kommissarisch.
Foto: AP/Virginia Mayo

Straujuma: Die Flüchtlingskrise ist ein äußert heikles Thema in Lettland. Bisher hatten wir begrenzte Erfahrungen mit der Integration einer größeren Anzahl von Flüchtlingen. Daher mussten wir ein neues Konzept für die Aufnahme und Integration von Asylsuchenden erstellen und den Dialog mitverschienenen Gesellschaftsgruppen verstärken, um die Gründe für die Migration und die Schritte der EU zu erklären. Wir hoffen, dass dieses Programm zur Integration der Flüchtlinge in die lettische Gesellschaft helfen wird. Zusätzlich zur staatlichen Hilfe für Asylsuchende und Flüchtlinge gibt es ein von Zivilgesellschaft und NGOs aufgebautes Unterstützungsnetzwerk für diese Personen. Auf der anderen Seite haben die Bedrohung durch den Terrorismus und die jüngsten Ereignisse in Paris gezeigt, dass es auch nötig ist, die Sicherheitsebene in der EU und in Lettland zu verstärken.

Sobotka: Die Menschen haben Angst vor Gewalt, Terror und Krieg. Gerade das Schicksal jener, die vorden Konflikten im Nahen Osten fliehen, führt uns diese Gewalt ja vor Augen. In Tschechien leben zwar nicht viele Muslime, dafür aber große Gemeinden von Ukrainern und Vietnamesen sowie ehemaligeFlüchtlinge aus den Balkanstaaten. Eine allgemeine Angst vor Ausländern herrscht bei uns also nicht. Viele Flüchtlinge kommen jedoch aus einem völlig anderen kulturellen und religiösen Umfeld, und man darf die Sorgen nicht außer Acht lassen, die in westlichen Ländern durch die missglückte Integration vieler Muslime in die Mehrheitsgesellschaften entstanden sind. Wenn wir der Angst erfolgreich die Stirn bieten wollen, dann dürfen wir die realen Probleme nicht bagatellisieren oder verschweigen. Vielmehr müssen wir konkrete, pragmatische Lösungen anbieten. Andernfalls werden sich Extremisten, Populisten und Xenophobe dieses Themas annehmen und auf der Welle dieser Angst die politische Landkarte Europas umzeichnen.

Faymann: Ich hoffe, dass Europa an dieser Aufgabe nicht scheitert, sondern wächst und diese Europäische Union beweist, dass sie den Friedensnobelpreis, den sie erhalten hat, auch verdient. Wir als Politiker müssen Rahmenbedingungen schaffen, in denen ein friedliches Miteinander in Respekt und gegenseitiger Achtung möglich ist. Gleichzeitig erwarte ich mir aber, dass diese Werte des täglichen Miteinanders auch gelebt werden.

Ein Grenzzaun entsteht in Spielfeld.
Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Frage 3:

Ändern die Terroranschläge von Paris etwas am Umgang Ihres Landes mit Flüchtlingen?

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Bettel: Nein. Ich bin wenige Tage nach den Anschlägen vor das Parlament getreten und habe klar und deutlich gesagt, dass Flüchtlinge keine Terroristen sind und Terroristen keine Flüchtlinge. Wenn sich ein fanatischer Extremist nicht davor scheut, mittels Flüchtlingsboot nach Europa einzureisen, dann bleibt er ein fanatischer Extremist. Es ist nicht die Robe, die einen Anwalt zum Anwalt macht, sondern seine Ausbildung.

Cioloş: Die Attacken in Paris haben bei der rumänischen Bevölkerung Gefühle der Trauer und Besorgnis ausgelöst, können jedoch keinesfalls eine Änderung der Maßnahmen bezüglich Flüchtlingen bewirken.

Der 36-jährige Taavi Rõivas übernahm im März 2014 als damals jüngster Premier der EU die Regierungsspitze Estlands. Er genießt den Ruf eines offenen Liberalen. Durch die innenpolitische Situation in seinem Land ist er zu einer harten Haltung in der Flüchtlingsfrage genötigt.
Foto: APA/Stephanie Lecoq

Rõivas: Wir halten uns an die ausgemachten Pläne inklusive des schwedischen Vorschlags, innerhalb bestehender Verpflichtungen Hilfe zu leisten. Wir haben angeboten, ein Expertenteam an die Südgrenze der EU zu entsenden, inklusive Polizisten und Sicherheitsbeamten. Diese Menschen fliehen vor terroristischer Gewalt, etwa durch die Taliban oder den IS. Terroristen und Flüchtlinge im selben Satz zu nennen sollte ein Widerspruch in sich sein. Wir müssen aber effizienter werden beim Entscheiden, wer zu welcher Gruppe gehört, wer also Schutz benötigt und wer nicht.

Sprecherin der Downing Street: Wer hier im Land ankommt, hat ein zweiteiliges Kontrollsystem durchlaufen. Wir arbeiten eng mit der Behörde des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge zusammen, die ihre eigenen wirksamen Identifizierungsmethoden hat.

Sobotka: Die Anschläge von Paris haben vieles verändert, aber sicher nicht unsere Haltung in der Flüchtlingskrise. Die Gefahr geht nicht von Flüchtlingen aus, sondern von Terroristen. Das Gleichsetzen von Flüchtlingen und Terroristen lehne ich ab. Ein Risiko für die europäische Sicherheit sind die IS-Kämpfer und nicht die, die vor ihnen fliehen. Gegen Terroristen werden wir weiter entschlossen kämpfen, Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, werden wir helfen. Doch seit Beginn der Flüchtlingskrise betonen wir auch den Sicherheitsaspekt. Die Schengen-Außengrenzen müssen funktionieren,Flüchtlinge müssen konsequent registriert werden, und wir müssen das Einsickern islamistischer Radikaler nach Europa verhindern.

Faymann: Die Menschen, die zu uns flüchten, fliehen vor jenen IS-Terroristenbanden, die auch für die Anschläge von Paris verantwortlich zu machen sind. Es darf hier nicht zu einer Täter-Opfer-Umkehr kommen. Aber natürlich zeigen uns die Anschläge von Paris die Verwundbarkeit offener Gesellschaften, und sie zeigen uns, dass wir wachsam sein müssen.

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Ein afghanischer Flüchtling springt aus einem überfüllten Boot auf der Insel Lesbos am 19. Oktober.
Foto: REUTERS/Yannis Behrakis

Frage 4:

Würde Ihr Land ein militärisches Eingreifen in Syrien unterstützen?

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Bettel: Diese Frage stellt sich zurzeit für uns nicht. Wir haben Frankreich zugesagt, dass wir die französischen Streitkräfte gegebenenfalls bei anderen Einsätzen, beispielsweise in Mali, entlasten werden. Ein Syrien-Einsatz steht nicht an.

Cioloş: Wir bleiben bei unserer Position: Eine militärische Lösung kann nicht zur Entschärfung des Konflikts führen. Für die Stabilisierung der Region ist die einzig erfolgversprechende Lösung eine politische. Wir unterstützen also jede Initiative, die eine politische Übergangslösung für den Syrien-Konflikt anstrebt, wie jene des UN-Generalsekretärs Staffan de Mistura. Gleichzeitig hoffen wir, dass anlässlich des nächsten Treffens der Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien (ISSG) auch syrische Vertreter an den Gesprächen teilnehmen, um einen wirksamen Übergangsprozess einleiten zu können. Die Terroranschläge in Paris und das Ausmaß des Phänomens der ausländischen Kämpfer erfordern eine intensivere Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Unsere Maßnahmen auf EU-Ebene sollten außerdem die Notwendigkeit berücksichtigen, die Anfeindungen der islamischen Bevölkerung und die Polarisierung unserer Gesellschaften zu verhindern.

Rõivas: Wenn unsere strategischen Partner und Verbündeten Hilfe und Unterstützung brauchen, ist Estland gewillt und bereit dazu. Zunächst müssen wir mit unseren Verbündeten in EU und Nato beraten, welche Maßnahmen am geeignetsten zur Bekämpfung des IS sind und welche Form der Unterstützung am dringendsten benötigt wird.

Sprecherin der Downing Street: Das Unterhaus hat der Regierung ein eindeutiges Mandat erteilt, sich an Luftschlägen gegen Daesh (IS, Anm.) in Syrien und dem Irak zu beteiligen. Militärische Mittel allein werden Daesh nicht besiegen. Für den Frieden in Syrien ist ein politischer Prozess notwendig. Das Land braucht eine Regierung, die von der gesamten Bevölkerung unterstützt werden kann.

Straujuma: Lettland nimmt seit über einem Jahr an der internationalen Koalition gegen den IS teil. Derzeit erwägt Lettland in enger Zusammenarbeit mit seinen Partnern in der Koalition militärische Ausbildungshilfe für die irakische Armee. Andererseits haben wir nicht vor, uns an Luftschlägen oder Bodenoperationen in Syrien zu beteiligen. Lettland unterstützt jedoch legitime Aktionen seiner Verbündeten, tödliche Gewalt gegen Terroristen auf syrischem Boden anzuwenden.

Sobotka: Frieden in Syrien zu schaffen ist die zentrale Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Wir brauchen eine breite Übereinkunft und ein koordiniertes Vorgehen von USA, Europa und Russland. Tschechien ist seit einigen Jahren Teil der internationalen Koalition, die aktiv gegen den IS kämpft. Wir helfen bei Ausbildung und Bewaffnung, haben Flugzeuge sowie ärztliche und humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt und wollen diese Aktivitäten auch weiterhin fortsetzen. Gleichzeitig ist es nötig, Druck auf jene Staaten auszuüben, die Hilfe für den IS oder Geschäfte mit ihm tolerieren – oder sogar unterstützen. Ein solches Vorgehen ist völlig inakzeptabel. Eine Bodenoperation des Westens unterstütze ich nicht, sie brächte keine nachhaltige Lösung. Für einen Sieg gegen den IS auf dem Boden müssen sich vor allem irakische Soldaten und arabische Staaten einsetzen. In Syrien müssen sich das Regime und die gemäßigte Opposition gegen den IS verbünden.

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Ein syrischer Flüchtling hält seine Tochter auf der Insel Lesbos.
Reuters/Konstatidis

Frage 5:

Sollen Länder, die nicht bereit sind, eine Quoten-Lösung mitzutragen, EU-Fördergelder gestrichen bekommen?

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Bettel: Solidarität ist und bleibt einer der Stützpfeiler der EU. Wir müssen alle diplomatischen Mittel in Bewegung setzen, damit sich alle EU-Staaten an einer Lösung beteiligen.

Cioloş: Es besteht kein Grund dazu, beim Erreichen dieser Ziele alle bestehenden Regeln zur Festlegung nationaler Zuteilungen aus dem EU-Budget oder zur Sicherung ausgleichender finanzieller Mechanismen für den Umverteilungsprozess infrage zu stellen. Jede Art der Koppelung der Migrationssteuerung an finanzielle Zuwendungen ist ungerechtfertigt und ungerecht. Die Prinzipien der Solidarität und der geteilten Verantwortung sind in den EU-Abkommen festgeschrieben. Rumänien hat seine Solidarität bereits vielfach unter Beweis gestellt und setzt bereits seine Verpflichtungen bezüglich der Umverteilungsbeschlüsse um. Darüber hinaus leistet Rumänien auch signifikante Beiträge in anderen Bereichen der Migrationssteuerung, was entsprechend angerechnet werden sollte. So zählt etwa Rumäniens Beitrag zu Frontex und dem European Asylum Support Office zu den substanziellsten Bemühungen aller Mitgliedsstaaten.

Rõivas: Wie würde das helfen?

Straujuma: Die Verfügbarkeit von EU-Geldern kann ein förderlicher Faktor bei der Verbesserung der Infrastruktur und des Aufnahmesystems für Flüchtlinge sein. Solidarität heißt nicht nur, ein Quotensystem durchzusetzen, es handelt sich um ein komplexes Maßnahmenarsenal. Wir betrachten das Quotensystem nicht als Lösung der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Wir sollten uns viel mehr mitdem Management der EU-Außengrenzen und einem effizienteren Abschiebesystem beschäftigen.

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Der österreichische Kanzler Werner Faymann stimmt sich eng mit der deutschen Kanzlerin ab. Am Donnerstag lädt der Sozialdemokrat jene Staaten, die an einer Lösung arbeiten wollen, zum Gespräch. Es geht um die Umsiedlung von mehreren Hunderttausend Menschen.
Foto: Reuters/Hannibal Hanschke

Sobotka: Die EU-Fonds hängen mit der Flüchtlingskrise nicht zusammen, für eine solche Verknüpfung gibt es keinerlei rechtlichen Rahmen. Der Umgang mit den Flüchtlingsströmen und die Entscheidungen der einzelnen Regierungen auf diesem Gebiet dürfen nicht mit der Kohäsionspolitik der Europäischen Union in Verbindung gebracht werden. Der Versuch, über die Fonds Druck auf einige Staaten auszuüben, beschädigt die europäische Einigkeit und stärkt antieuropäische Kräfte. Ich bin froh, dass die Spitzen der EU keine Debatte über eine solche Verknüpfung führen, sondern dass wir uns auf die Suche nach echten und gemeinsamen Lösungen für das Flüchtlingsproblem konzentrieren.

Faymann: Ich habe das bereits vor Monaten gefordert. Die Nettozahler-Staaten haben vielen Ländern innerhalb der EU geholfen und machen das noch immer. Nun verlangen wir auch in der Flüchtlingsfrage ein solidarisches Verhalten dieser Länder. (Laura Balomiri, Sebastian Borger, Thomas Mayer, Karin Riss, Gerald Schubert, Andreas Stangl, 16.12.2015)