Bild: The Great Whale Road
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"Ich wollte mal wieder die Sonne sehen, nicht nur im Urlaub", meint Birgit Sammer auf die Frage, warum es sie gemeinsam mit ihrem Mann ausgerechnet ins spanische Valencia verschlagen hat. Gemeinsam mit einem kleinen Entwicklerteam arbeitet das Ehepaar dort an seinem Traum: Das Strategierollenspiel "The Great Whale Road" will die frühmittelalterliche, raue Welt der Nordseeschifffahrt auf die Bildschirme bringen. Ein Jahr lang arbeiten sie bereits im sonnigen Spanien an ihrem Projekt – doch die zwei Österreicher haben schon zuvor einen abenteuerlichen Weg hinter sich, der sie von Wien um die halbe Welt, vom Luxushotel auf den Malediven über Kuala Lumpur und London schließlich zur Indie-Entwicklung gebracht hat.

Nach dem Studium in Wien – er Geschichte, sie Publizistik mit anschließendem MBA – zieht es die zwei inzwischen seit 17 Jahren Liierten in die weite Welt. Zunächst auf eine 5-Stern-Malediveninsel, in die Luxushotellerie: "Ich war Front Office & IT Manager, Birgit Guest Relationship Manager. Nach acht oder neun Monaten ist uns die Insel – 300m lang, 65m breit – dann etwas zu klein geworden", meint Joachim. Nach einem weiteren Zwischenstopp in der malaysischen Metropole Kulala Lumpur führt sie 2005 der Weg zurück nach Europa – in die Finanzmetropole London. Ein weiterer Richtungswechsel: Für internationale Finanzkonzerne wie Citigroup und Bank of America Merril Lynch arbeiten die Sammers fast neun Jahre lang in fordernden Positionen im Bankensektor.

The Great Whale Road

Von der Hochfinanz zur Games-Entwicklung

Drei Stunden am Tag im Zug und in der Ubahn, stressige Jobs, kaum Ausgleich – bis es dann einmal reicht: "Nach ein paar Jahren fragt man sich dann schon, ob es im Leben nicht noch etwas anderes gibt", erinnert sich Birgit Sammer an die Gründe, alles noch einmal völlig auf den Kopf zu stellen. Zwei Karrieren in der Finanzbranche, einfach so aufgegeben? "Wir wollten schon länger etwas Eigenes aufziehen, und Spieleentwicklung war auf der Liste ganz weit oben", so Joachim, der in London schon vor seinem IT-Bankjob kurz erste Erfahrungen mit Games-Entwicklung sammeln konnte. Ende 2014 packen die Sammers wieder ihre Koffer. Das Ziel: Valencia. Der Traum: ein eigenes Spielestudio.

Die gesamten Ersparnisse werden investiert, das Studio Sunburned Games wird gegründet. Inzwischen arbeiten fünf Angestellte und zwei Praktikanten an der Vision des Unternehmerpaares mit. Eine Unternehmensgründung, so meinen die beiden, sei immer ein Risiko. "Spielentwicklung unterscheidet sich da jetzt nicht enorm von anderen Startups. Ich sehe das Risiko in der Spielebranche sogar als vergleichsweise etwas kleiner: Wir wissen zumindest, dass es einen Markt für Spiele wie unseres gibt, kennen dessen ungefähre Größe, und wir können etablierte Verkaufskanäle wie Steam nutzen", so Joachim Sammer. Weniger Arbeit ist aber trotz radikalem Branchenwechsel nicht angesagt: "Selbstausbeutung ist essentiell. Aber ich habe zu lange in London gelebt um das negativ zu sehen. Wir investieren unsere eigenes Geld, da muss ich dann auch bereit sein, mich persönlich voll zu involvieren."

Langschiffe und blutige Äxte

Das Debütspiel, an dem seitdem fieberhaft gearbeitet wird, ist ein Herzensprojekt mit ungewöhnlicher Ausrichtung: "The Great Whale Road" soll ein historisch genaues, liebevoll illustriertes Strategierollenspiel werden, in dem Spielerinnen und Spieler die Nordsee des 7. Jahrhunderts durchpflügen. Neben dem düsteren Seeabenteuer, bei dem Kämpfe, Entdeckungen, Handel und Plünderungen an der Tagesordnung sind, soll auch die Verwaltung der eigenen Siedlung auf dem Festland fester Bestandteil des originellen Genremixes werden.

Indie-Freunde mögen Stil und Thematik etwas an das erfolgreiche Fantasy-Rollenspiel "The Banner Saga" erinnern, doch es gibt bedeutende Unterschiede: "The Great Whale Road" orientiert sich an historischen Frühmittelalter-Epen wie der erfolgreichen "Eingeschworenen"-Romanreihe des schottischen Schriftstellers Robert Low, bemüht sich um geschichtliche Genauigkeit und grenzt sich auch spielerisch vom auf den ersten Blick ähnlichen Erfolgstitel ab: "Wir wollten immer ein relativ schnelles Spiel mit mehr taktischen Elementen. Das war die Anfangsidee zu unserem Hybrid-Design, das rundenbasierende Taktik und Karten kombiniert. Und dann ist da natürlich das ganze Seeabenteuer – der Kern des Spiels mit Handel, Entdeckungen, Management der Crew, Seeräuberei und Plünderungen. Unser Ziel ist vielleicht frech, aber wir wollen besseres Gameplay produzieren als ‘The Banner Saga’", so Joachim Sammer selbstbewusst.

Das Team von Sunburned Games. Links: Die Gründer Birgit und Joachim Sammer
Foto: Sunburned Games

Kickstarter als Zusatzfinanzierung

Aktuell soll über eine Kickstarter-Kampagne Geld gesammelt werden, doch das Crowdfunding kann – und soll – die Spielentwicklung nicht zur Gänze finanzieren. "Natürlich erhofft man sich zusätzliches Investment in der Form von vorverkauften Spielkopien. Aber das Goldene Zeitalter des Game-Crowdfundings ist schon lange vorbei", gibt sich Joachim realistisch. "Kickstarter funktioniert heute sehr gut für große Studios mit bekannten Marken, oder für sehr kleine, die nur wenige tausend Euro benötigen. Die Mitte hat es schwerer", meint auch Birgit Sammer, die sich bei Sunburned um Finanzen und Marketing kümmert. "Aber immerhin gibt einem Crowdfunding die Möglichkeit, ein globales Publikum und Medien weltweit zu erreichen. Das macht eine Kickstarter-Kampagne dann auf jeden Fall den Aufwand wert. Speziell für ein kleines und neues Studio irgendwo in Europa wie Sunburned Games."

Auch wenn aktuell, einige Tage vor Ablaufen der Kickstarter-Kampagne, das gesteckte Ziel noch in einiger Entfernung liegt, ist man nicht unzufrieden mit der Resonanz. Das erste Feedback, so die Sammers, sei sehr positiv: Die Demo der Kern-Combat-Mechanik und der Artstyle bekämen sehr viel Lob – "und auch, dass wir weibliche und männliche Charaktere im Spiel gleich behandeln". "Insgesamt sind wir mit dem Feedback sehr glücklich. Und wir sind auch schon Greenlit auf Steam, das heißt unser nächster Meilenstein ist Early Access im Mai", so Joachim Sammer.

Ein Traum

Nächstes Jahr entscheidet sich also, wo die "Great Whale Road" ihre Erfinder hinverschlägt. Gelohnt hat es sich schon jetzt, meint Joachim Sammer. "Nach Jahren mit Bankensoftware, Prozessen und riesigen globalen Teams ist das Arbeiten im Studio natürlich ein Traum. Und es freut mich enorm, dass wir jungen Talenten hier ihre erste Möglichkeit geben können eine Karriere in der Spieleindustrie zu beginnen." Und Birgit Sammer ergänzt: "Wir haben lange überlegt, aber dann letztendlich die Entscheidung getroffen, es einfach zu versuchen. Worst case scenario ist, dass wir irgendwann zurück nach London müssen." (Rainer Sigl, 17.12.2015)