Berlin – Die Geheimdienstkontrollore des deutschen Bundestages beklagen gravierende Rechtsverstöße beim deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) und fordern dringend Konsequenzen. Untersuchungen hätten ergeben, dass der BND unrechtmäßig und nicht auftragskonform eine Vielzahl an Zielen in EU- und NATO-Staaten ausgeforscht habe – darunter ausländische Regierungsstellen und EU-Institutionen.

Das sagte der Vorsitzende des Parlamentsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, Andre Hahn (Linke), am Mittwochabend nach einer Sitzung des Gremiums in Berlin. In Einzelfällen seien auch deutsche Staatsbürger ausgespäht worden.

Die Bundesregierung hatte dem Kontrollgremium im Oktober mitgeteilt, dass es neben den umstrittenen Suchkriterien des US-Geheimdienstes NSA auch eigene problematische BND-Selektoren gegeben hat, die bis Ende 2013 im Einsatz waren. Das Parlamentsgremium hatte daraufhin eine Task Force eingerichtet, um dem weiter nachzugehen.

Selektoren sind Suchmerkmale, etwa Telefonnummern oder Mail-Adressen, die genutzt werden, um weltweite Datenströme zu durchkämmen. Der BND hatte im Sommer 2013 begonnen, kritische Suchkriterien aus seiner Fernmeldeaufklärung herauszunehmen. Am Ende waren etwa 3300 Ziele herausgefiltert worden, die EU- und NATO-Staaten betrafen. Diese schaute sich die Task Force des Kontrollgremiums genauer an.

Hahn stellte nun die vorläufigen Ergebnisse vor: Ein Drittel der Ziele sei "mit großer Wahrscheinlichkeit rechts- und auftragskonform". Eine weitere Gruppe könne nicht pauschal beurteilt werden. Der BND habe aber auch "eine Vielzahl von Zielen aufgeklärt, die nicht auftragskonform und rechtlich zulässig sind". Einzelne Ziele dürfe er nicht nennen. Die Ausforschung sei zum Teil über Jahre erfolgt. In einzelnen Fällen habe der BND auch deutsche Staatsbürger erfasst und dies mit der "Funktionsträgertheorie" begründet.

Deutsche Bürger sind besonders vor Ausspähung durch deutsche Geheimdienste geschützt – auch dann, wenn sie sich im Ausland aufhalten. Eine Überwachung ihrer Kommunikation ist nur in Ausnahmefällen und nach Genehmigung durch die sogenannte G-10-Kommission erlaubt. Der BND argumentiert aber, bei "Funktionsträgern" sei das anders. Der deutsche Geschäftsführer einer ausländischen Firma im Ausland ist nach BND-Logik nur vor Ausspähung geschützt, wenn er privat telefoniert, nicht aber bei geschäftlichen Gesprächen.

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hielt dagegen, der BND dürfe Deutschen im Ausland nicht ihre Grundrechte absprechen. "Diese Funktionsträgertheorie verstößt krass gegen das Grundgesetz." Ein eindeutiger Rechtsverstoß sei außerdem, dass das Kontrollgremium über Jahre gar nicht, falsch oder unvollständig informiert worden sei.

Der SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka sprach von einem "unhaltbaren Zustand, der dringend geändert werden muss". Der Unions-Politiker Clemens Binninger (CDU) beklagte, die Rechtsgrundlage für die BND-Arbeit sei zu schwammig, bei dem Geheimdienst habe sich in einer Abteilung ein Eigenleben entwickelt, die Aufsicht habe nicht funktioniert.

Die Parlamentarier fordern zahlreiche Konsequenzen: Dienstvorschriften müssten verändert, die Aufsicht über den BND müsse verbessert und die parlamentarische Kontrolle ausgebaut werden. Besonders sensible Selektoren müssten künftig von der BND-Spitze und dem Kanzleramt abgesegnet werden. Und die gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit des BND müssten strenger gefasst werden. Dazu will die Koalition möglichst schnell im neuen Jahr Gesetzespläne vorlegen. Ströbele scherte als einziger aus und beklagte, das Gremium sei mit seinen Schlussfolgerungen viel zu zurückhaltend.

Die deutsche Regierung begrüßte die Untersuchung und betonte, es seien bereits einige Reformen beim BND eingeleitet. (APA, 16.12.2015)