Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann, Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu. Im Hintergrund links: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

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Treffen in der ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union in Brüssel.

European Union/EBS

Martin Schulz ist als Präsident des Europäischen Parlaments bei EU-Gipfeln nur als Gast dabei. Ihm kommt daher bei Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedstaaten eine neutrale Beobachterrolle zu.

Umso bemerkenswerter war die Antwort, die der deutsche Sozialdemokrat Donnerstag am Rande des Treffens der Staats- und Regierungschefs in Brüssel gab, als er gefragt wurde, wie es um die EU stehe. "Ich bin seit 1974 in der Politik", sagte Schulz, "aber ich kann mich nicht an ein so schlimmes Jahr erinnern wie 2015. Die Spaltung Europas ist unübersehbar. Es gibt ein Auseinanderdriften der Staaten wie nie zuvor."

Sein Befund dürfte von dem herrühren, was er zu Mittag bei einem Sondergipfel von elf Regierungschefs einer "Koalition der Willigen" erlebt hatte. Wie berichtet, wurde das Treffen von Bundeskanzler Werner Faymann in der Ständigen Vertretung Österreichs ausgerichtet. Teilnehmer waren Deutschland, Frankreich, die drei Beneluxstaaten, Schweden, Finnland, Griechenland, zu denen sich in letzter Minute die Premierminister von Slowenien und Portugal gesellten.

Es war also eine mächtige Gruppe von EU-Ländern versammelt, die als Nettozahler das EU-Budget dominieren, von denen einige wenige aber auch massiv vom Zustrom an Flüchtlingen betroffen sind. Gemeinsam mit dem türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu wurde in zwei Stunden intensiven Gesprächs ein umfangreiches Arbeitsprogramm erörtert. Dies soll in den kommenden Wochen dazu führen, dass "wir die illegale Migration stärker und deutlicher reduzieren", wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel betonte. Man wolle "Mechanismen, um Flüchtlinge legal aufzunehmen, auf freiwilliger Basis. Jeder ist dazu eingeladen."

Bundeskanzler Werner Faymann bei der Ankunft in Brüssel.
binder

Die Koalition wäre sogar bereit, einige hunderttausend Flüchtlinge, vor allem Syrer, aufzunehmen, wenn die Türkei den illegalen Zustrom stoppt. Eine erste Tranche könnten 50.000 Flüchtlinge sein, die direkt nach Europa gebracht werden.

Davutoglu kündigte umfangreiche Maßnahmen an. So wird die Türkei ab 8. Jänner eine Visumpflicht für Syrer einführen, um den Zuzug via Ägypten und Libanon mit gefälschten Pässen einzudämmen. Flüchtlinge sollen aber weiter ins Land kommen können. Faymann strich in seinem Resümee heraus, wie groß der Ärger sei, dass vor allem die osteuropäischen EU-Staaten sich an der Aufteilung der Flüchtlinge nicht beteiligen wollen.

Er drohte damit, dass dies finanzielle Konsequenzen haben könnte: "Wer unter dem Strich mehr Geld aus dem EU-Budget erhält, als er einzahlt, sollte sich bei der fairen Verteilung der Flüchtlinge nicht einfach wegducken." Daher würden er und andere "den Druck weiter erhöhen, auch wenn es um finanzielle Fragen, um den EU-Finanzrahmen und die Evaluierung geht". Eine solche steht 2016 an. "Solidarität ist keine Einbahnstraße", so Faymann. Er kündigte an, dass die von Merkel initiierte Gruppe der Willigen weiter existieren werde. Vor dem nächsten EU-Gipfel am 18. Februar wird es auf Einladung des Niederländers Mark Rutte wieder ein Treffen geben, bei dem mit Davutoglu weiterverhandelt werden soll. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die der Türkei von der EU zugesagten drei Milliarden Euro zu einem Großteil aus dem EU-Budget kommen (bisher sind 500 Millionen Euro geplant) – was zulasten der ärmeren Länder ginge, die aus dem EU-Budget mehr profitieren.

Orbán: Erpressung

Faymanns Erklärungen wurden bei den Osteuropäern als Kampfansage verstanden. Der tschechische Europastaatssekretär Tomás Prouza empörte sich, dass "wir noch immer Dinge ohne juristische Basis besprechen". Ungarns Premier Viktor Orbán sprach von "Erpressung bestimmter linker Regierungen". Auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach sich "gegen Drohungen" aus. Es wäre ihm lieber, wenn die Gespräche zu Flüchtlingspolitik und Türkei im Kreis der 28 stattfänden. Beim regulären EU-Gipfel am Abend wurden keine Beschlüsse gefasst, die Pläne der Kommission zur Stärkung der Außengrenzen durch eine ausgebaute Küsten- und Grenzwache aber begrüßt.

Tschechien weigert sich wie die Slowakei und Ungarn, die ihnen zugeteilte Quote von Flüchtlingen zu erfüllen. Wie neueste Zahlen zeigen, funktioniert das System nicht: von geplant 160.000 Flüchtlingen wurden bisher nur 184 von Griechenland oder Italien in andere EU-Staaten gebracht. Nur 3000 Plätze sind zugesagt. Von elf geplanten Aufnahme-" Hotspots" gibt es zwei.