Laura Morillas findet nur bittere Worte: "Wenn du auswanderst, hast du das Gefühl, alle Rechte zu verlieren. Für dein Land existierst du einfach nicht mehr." Die 35-jährige Biologin aus Almeria lebt in Vancouver in Kanada. Sie ist eine von 1,9 Millionen Spanierinnen und Spaniern, die am Sonntag bei den Parlamentswahlen eigentlich Wahlrecht haben, es aber nur schwer geltend machen können. Denn das Gesetz sieht vor, dass die Emigranten ein Konsulat aufsuchen und dort einen Antrag stellen, um die Unterlagen für die Briefwahl zu bekommen. Im Falle von Morillas ist das nächste Konsulat im 4500 Kilometer entfernten Toronto. Ein unmögliches Unterfangen.

"Nur sieben Prozent der Auslandsspanier fordern ihre Unterlagen an", berichtet María Almena. Nur die Hälfte erhält sie rechtzeitig. Almena ist Sprecherin der Auswandererbewegung Marea Granate (Weinrote Flut). Die Bewegung, die aus den Reihen der "Empörten" entstand, organisiert in vielen Ländern Versammlungen meist junger Auswanderer – "vor allem derer, die infolge der Krise Spanien verlassen haben", berichtet die Forscherin am Pariser Institut Pasteur. Seit 2011 sind es 700.000 neue Emigranten.

Ob bei EU-Wahlen, bei Regionalwahlen oder jetzt bei den Parlamentswahlen, organisiert die Marea Granate weltweit immer wieder Proteste für das Wahlrecht.

Doch der regierende konservative Partido Popular (PP) hat sich mehrmals geweigert, eine Reform des Wahlrechts auch bloß zur Debatte im Parlament zuzulassen. "Sie wissen, dass viele von uns alles andere als konservativ wählen", ist sich Almena sicher. Denn der PP steht für Krise und Sparpolitik. Wer auswandert, um Arbeit zu finden, macht die Regierungspolitik der vergangenen Jahre dafür verantwortlich.

Kontraproduktive Strategie

"Bis 2011 reichte es, sich auf dem Konsulat einzuschreiben, die Wahlunterlagen kamen dann automatisch", berichtet Almena. Es waren die beiden Großen, die regierende PP und die sozialistische PSOE, die mit Unterstützung der katalanischen und baskischen, konservativen Nationalisten 2011 die heute gültige Regelung verabschiedeten. "Sie wussten, dass die jungen Auswanderer anders als diejenigen, die seit Jahrzehnten vor allem in Lateinamerika leben, eben nicht ihre Klientel sind", schimpft Almena.

Morillas wird dank Marea Granate am Sonntag ihre Stimme abgeben können. Über soziale Netzwerke bringt die Organisation Menschen wie Morillas mit anderen in Spanien zusammen, die nie wählen gehen. Sie "spenden" ihre Stimme. "Ich habe mit meinem 'Spender' Antonio per E-Mail kommuniziert", erklärt die junge Frau in Vancouver. Antonio wird am Sonntag zur Wahl gehen und für die Partei stimmen, der Morillas ihr Vertrauen schenkt.

Über 2000 Paare haben sich dank der Initiative "Rette meine Stimme" bereits gefunden. Weitere 9000 Auslandsspanier warten auf einen "Spender". (rw, 18.12.2015)