Indie ist gewissermaßen 2015 zum "neuen Mainstream" geworden – Kollege Zsolt Wilhelm begrüßte im Frühjahr bereits mit ehrlicher Freude den "Indie-Games-Kommerz". Dass die neue Breite, die mit zunehmender Professionalität und der großen Anzahl neuer Indies einhergeht, auch ihre Schattenseiten hat, war dann im September Thema. "Indie-Games sind tot – kein Grund zur Trauer" lautete der zugegeben hinterhältige Titel einer Analyse, die dem Ende des Indie-Begriffs als "Underground" aber auch Positives abgewinnen konnte: Niemals gab es so viele spannende Spiele zu moderaten Preisen für fast jeden Geschmack und jede noch so obskure Nische.

Das goldene Zeitalter unabhängiger Spielemacher ist also beileibe nicht zu Ende, wie auch diese Auswahl der interessantesten Indie-Spiele des Jahres beweist. Hier sind die Besten des Jahres 2015 – ungewöhnlich, originell und quicklebendig.

Her Story (Windows, Mac, iOS, ca. 5,99 Euro)

Ein erzählerisches Experiment mit Tiefgang: Aus unzähligen Video-Interviewschnipseln setzt sich mit jeder Datenbankabfrage das Psychogramm einer jungen Frau zusammen, die in einen Mordfall verwickelt ist. Völlig neue Spielideen sind selten – hier ist eine. Wer auf der Suche nach Originalität im Medium ist, muss "Her Story" gesehen haben – solides Englisch ist allerdings dabei Grundvoraussetzung. Ein faszinierendes Unikat.

Her Story Video Game

Sunless Sea (Windows, Mac, Linux ab 17,99 Euro)

Als Kapitän auf den unterirdischen Meeren unterwegs zu sein ist mit Gefahren und unzähligen erstaunlichen Entdeckungen verbunden. Die Hauptrolle im überaus atmosphärischen und einzigartigen Seefahrerabenteuer, bei dem sich Entdecken, Ressourcenverwaltung und Adventure die Waage halten, spielt aber die Fantasie der Autoren: Mehr düsteres Seemannsgarn gab es seit Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer" nirgends.

Failbetter Games

Everybody's Gone To The Rapture (PS4, 19,99 Euro)

Allein nach der Apokalypse: Der heißersehnte First-Person-Walker aus der Feder der "Dear Esther"-Macher "The Chinese Room" überzeugt durch seine melancholisch-schöne britische Dorfidylle ebenso wie durch die intime, hintergründige Story, die sich langsam aus persönlichen Fragmenten zusammensetzt. Der fantastische Soundtrack von Jessica Curry ist ohne Übertreibung einer der diesjährigen Höhepunkte zeitgenössischer klassischer Musik – und allein deshalb schon ein Kaufgrund.

sonyplaystation

Kerbal Space Program (Windows, Mac, Linux, 39,99 Euro)

Nach jahrelangem Early Access starteten die findigen Außerirdischen heuer mit einem finalen Release in den Weltraum. Vorsicht: "KSP" ist kein Spiel für zwischendurch. Die hochkomplexe Simulation mit Knuddelfaktor begeisterte bereits in ihrer unfertigen Version Millionen Spielerinnen und Spieler weltweit durch ihre einzigartige Mischung aus Sandbox-Spiel, Physiksimulation und technischem Baukasten – sogar die Nasa ehrte das Ausnahmespiel mit einer offiziellen Kooperation.

Kerbal Space Program

Undertale (Windows, Mac, Linux 9,99 Euro)

Ein wahres Phänomen mit inneren Werten, die das schlichte (aber dennoch liebenswerte) Äußere schnell vergessen machen: "Undertale" erzählt in Form eines auf den ersten Blick recht klassischen Rollenspiels japanischer Tradition eine Fantasy-Geschichte, die so manchen Spieler heuer zu Tränen gerührt hat. Die Kämpfe sind kleine Geschicklichkeitsproben, die Figuren, Dialoge und Orte sprühen vor Witz und Originalität, und Entscheidungen bekommen im Spielverlauf fast philosophische Bedeutung. Schon jetzt ein Kultspiel – ein Werk der Liebe für jene, für die Spiele mehr als nur Oberfläche sind.

FwugRadiation

Rocket League (Windows, PS4 19,99 Euro)

Ein Indie-Sommerhit, der sich wohl zum Allzeitfavoriten mausern wird: ein überdimensionaler Ball, zwei Tore und eine Handvoll rasender raketenbetriebener Vehikel, die sich physikbasiert ein heißes, na ja, Fußballmatch liefern. Die durchgeknallte Sportart, in der bis zu jeweils vier Spieler (online) oder in 2vs2-Matches lokal per Splitscreen antreten, ist und bleibt ein zeitloser Spaß. "Rocket League" macht alles richtig, von überraschend trickreichen Stunts bis hin zum unkomplizierten Rundherum.

GameSpot Trailers

Soma (Windows, Mac, Linux, PS4, ca. 27,99 Euro)

Die Macher des Horrorkultspiels "Amnesia – The Dark Descent" liefern mit "Soma" weit mehr ab als nur eine Geisterbahn auf dem Meeresgrund, und zwar einen atmosphärisch überaus dichten, bis in kleinste Details ausgestalteten Science-Fiction-Thriller mit ambitionierter, erwachsener Story, die auf altbekannte Klischees verzichtet. Eines der narrativ gelungensten First-Person-Abenteuer des Jahres mit beeindruckender Atmosphäre und einer Geschichte, die man nicht so schnell vergisst.

frictionalgames

Invisible Inc (Windows, Mac, Linux; PS4 in Vorbereitung 19,99 Euro)

Die geniale Verknüpfung von Stealth-Elementen mit rundenbasierter Taktik und einer gehörigen Prise Rogue-like-Elementen macht "Invisible Inc" zu einem der Strategiespiele des Jahres: In immer kniffliger werdenden, stets zufallsgenerierten Geheimmissionen schleichen, stehlen und kämpfen sich Eliteagenten mit unterschiedlichen Fähigkeiten in "XCOM"-Manier durch einen Spionagethriller mit Wiederspielgarantie. Simple Regeln, knifflige taktische Entscheidungen und ein ziemlich anspruchsvoller Schwierigkeitsgrad machen den Agententhriller zur nervenzerfetzenden Herausforderung.

Klei Entertainment

Ori And The Blind Forest (Xbox One, Windows, Xbox 360 in Vorbereitung; ab 19,99 Euro)

Ein Lokalmatador aus österreichischer Hand darf nicht fehlen: "Ori and the Blind Forest" ist ein spielbares Kunstwerk und ein Fest für Metroidvania-Fans. Der betörend schöne Zeichentrickstil sowie viel Liebe zum Detail und mehr als bloß solides Gameplay machen es zum Pflichtkauf für Freunde klassischer Geschicklichkeitsspiele. Obacht: Ein reines Kinderspiel ist das Abenteuer aber nicht – etwas Frustrationstoleranz und Liebe zur Herausforderung sollten Spielerinnen und Spieler in die bunte Welt mitbringen.

MoonGameStudios

The Beginner's Guide (Windows, Mac, ca 7,99 Euro)

In seinem erst zweiten Spiel nach seinem kultisch verehrten Erstling "The Stanley Parable" verwirrt der US-Ausnahmeentwickler Davey Wreden das Publikum einmal mehr mit einem "Essay-Spiel", das von seinen Ideen, seinem Humor, aber vor allem vom Verhältnis zwischen Spieler, Spiel und Spielemacher lebt. Aus der Sicht eines Puristen-Gamers sollte man "The Beginner’s Guide" denn auch eher als interaktives Kunstwerk betrachten, doch die Mischung aus Mockumentary, Lebensbeichte und Gamedesign-Crashkurs ist ohne Zweifel eines der originellsten und ungewöhnlichsten Spiele des Jahres.

Davey Wreden

Und sonst?

Die Liste außergewöhnlicher Indie-Tipps ließe sich noch mühelos fortsetzen. Der soeben final erschienene Rogue-like-Shooter "Nuclear Throne" (Windows, Mac, Linux, PS4, PS Vita, 11,99 Euro) zählt ohne Zweifel ebenso zu den Jahreshighlights wie das blutige und adrenalingetränkte "Hotline Miami 2" (Windows, Mac, Linux, PS3, PS4, PS Vita 14,99 Euro), der Multiplayer-Kracher "Helldivers" (Windows, PS3, PS4, PS Vita, 19,99 Euro), das antike Action-Adventure "Apotheon" (Windows, Mac, Linux, PS4 14,99 Euro), der Gefängnisbau-Simulator "Prison Architect" (Windows, Mac, Linux 27,99 Euro) und das sich noch im Early Access befindliche originelle Rollenspiel "Darkest Dungeon" (Windows, Mac, Linux 19,99 Euro). Freunde epischer Sandbox-MMOs kamen 2015 an "Ark – Survival Evolved" (Windows, Mac, Linux, 27,99 Euro – dieser Tage beginnt der Early Access auch auf der Xbox One) nicht vorbei.

In der monatlichen GameSTANDARD-Serie "Best of Indie" behalten wir auch weiterhin dieses spannende Gebiet für Sie im Auge. Es war wieder ein sehr gutes Indie-Spielejahr – und auch 2016 wird spannend. (Rainer Sigl, 2015)

IVSoftware