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Proteste am dritten Jahrestag der Gruppenvergewaltigung in Delhi.

Foto: EPA / Raja Gupta

Neu-Delhi – Der 55-jährige Badrinath Singh kann nicht fassen, dass das Recht und Gesetz sein soll. "Er ist eine Gefahr für die Gesellschaft, für Frauen und auch für meine Familie. Wir wissen noch nicht einmal, wie er aussieht", empört sich der Vater jener 23-jährigen Studentin, die am 16. Dezember 2012 in Indiens Hauptstadt Delhi vergewaltigt und gefoltert wurde und an den Folgen starb.

Knapp drei Jahre nach der Tat, die weltweit für Entsetzen sorgte, hat der jüngste der sechs Täter seine Strafe abgesessen. In wenigen Tagen könnte er laut Medien die Besserungsanstalt als freier Mann verlassen. Dabei soll er es gewesen sein, der dem Opfer die tödlichen Verletzungen zufügte. Doch weil er damals noch minderjährig war, kam der heute 20-Jährige mit drei Jahren Haft davon – die Höchststrafe für Minderjährige in Indien.

"Bitte zeigt uns sein Gesicht"

Seine drohende Freilassung reißt alte Wunden auf und empört viele Inder. Die Eltern des Opfers reichten Beschwerde bei der Nationalen Menschenrechtskommission ein. Darin fordern sie, die Bürger vor dem Mann zu schützen: "Bitte zeigt uns zumindest sein Gesicht." Doch das lassen die Gesetze nicht zu. Weil der Täter minderjährig war, bleibt seine Identität geschützt, um ihm eine zweite Chance zu geben.

Auch die indische Regierung fürchtet einen öffentlichen Aufschrei und appellierte an Delhis Höchstes Gericht, den Mann in Gewahrsam zu belassen – auch zu seinem Schutz, hieß es. Tatsächlich muss der 20-Jährige um sein Leben fürchten. Lynchjustiz kommt in Südasien weiterhin vor, viele Inder würden ihn am liebsten selbst am nächsten Baum aufknüpfen. Das Gericht will nun am 20. Dezember entscheiden.

Bis heute ist das Gewaltverbrechen unvergessen. Sechs Männer hatten die Medizinstudentin in einem fahrenden Bus vergewaltigt und derart gefoltert, dass die Frau 14 Tage später ihren schweren inneren Verletzungen erlag. Die fünf volljährigen Täter wurden zum Tode verurteilt, das Oberste Gericht hat die Hinrichtungen aber ausgesetzt. Einer der fünf Täter kam unter mysteriösen Umständen im Gefängnis zu Tode, offiziell sprach man von Suizid.

Ein Stück Veränderung

Das Schicksal von Jyoti Singh, so der Name des Opfers, der in Indien nicht genannt werden darf, wurde zum Symbol für das Leid unzähliger Frauen. Die Gewalttat löste eine beispiellose Protestwelle aus, über Wochen gingen tausende Menschen, Männer ebenso wie Frauen, auf die Straße.

Jyoti Singhs Tod hat Indien ein Stück weit verändert. Noch immer sind Gewaltverbrechen an Frauen Alltag. Es wird vermutlich noch sehr lange dauern, bis sich das Denken in dem 1,2-Milliarden-Einwohner-Land ändert. Und doch hat sich etwas getan: Immer mehr Vergewaltigungsopfer trauen sich, zur Polizei zu gehen. Insbesondere in Delhi schnellte die Zahl der Anzeigen in die Höhe. (Christine Möllhoff, 17.12.2015)