Brüssel – Sie wollen Großbritannien in der Europäischen Union halten und zeigen Kompromissbereitschaft: Nach dem Gipfel zum drohenden Brexit, also einem Ausstieg Großbritanniens aus der EU, wurde in der Nacht auf Freitag viel Optimismus demonstriert. EU-Ratsvorsitzender Donald Tusk sagte nach dem Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs in Brüssel, er sei jetzt "viel optimischer" in der Brexit-Frage. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist zu Vertragsänderungen für Großbritannien bereit: "Ich glaube, das könnte so sein."

Frankreichs Präsident François Hollande allerdings sprach sich für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten aus. "Was ich vorschlage, ist, dass eine Reihe von Staaten, die heute die Europäische Union darstellen (...), die Möglichkeit haben können, voranzuschreiten", sagte Hollande.

Keine "Union à la carte"

Es könne ein Basiseuropa geben, aber auch eines, das weiter gehe. Unmöglich sei hingegen eine "Union a la carte", in der sich jeder diejenigen Regeln aussuche, die ihm passen. Als Beispiel für Länder, die in der Zusammenarbeit weitergehen könnten, nannte Hollande die Eurostaaten. Er sei weiter dafür, die Eurozone mit einem eigenen Budget und einem Unterhaus im Europaparlament auszustatten.

Pragmatischer Kompromiss

Tusk hatte zuvor gemeint, auch der britische Premier David Cameron akzeptiere keine Diskriminierungen. Deswegen "brauchen wir einen Kompromiss. Nicht zwischen Werten, sondern einen pragmatischen". Es wäre auch ein Missverständnis, wenn jemand glaube, Cameron irgendwelche Lösungen aufdrängen zu wollen.

Der britische Premier habe seine Position in allen Einzelheiten erläutert und auch "sein Modell mit den vier Jahren", erklärte Tusk in Anspielung auf Camerons Forderung, dass Zugewanderte erst nach mindestens vier Arbeitsjahren Sozialleistungen erhalten sollen. Cameron habe aber auch Alternativlösungen angesprochen, wenn damit das gleiche Ziel erreicht werde.

Bis Februar soll Vereinbarung stehen

Die anderen Staats- und Regierungschefs hätten sich zum Teil besorgt gezeigt, seien aber auch bereit gewesen, einen Kompromiss zu finden. Bis zum Februar-Gipfel soll ein konkreter Vereinbarungstext zwischen der EU und Großbritannien an alle Staats- und Regierungschefs geschickt werden.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab sich vorsichtiger. Es gehe nicht nur um einen Punkt – den der Aufschiebung von Sozialleistungen für EU-Ausländer –, sondern um vier Bereiche, in denen Cameron Forderungen aufstelle. Diese seien alle zu lösen.

Cameron will Briten abstimmen lassen

"Nach heute Nacht bin ich zuversichtlich, dass wir Lösungen finden können", sagte Cameronn selbst nach dem ersten Gipfeltag. Er will die Briten über den EU-Verbleib abstimmen lassen, zuvor will er die Bedingungen der britischen EU-Mitgliedschaft neu aushandeln.

"Es gibt einen Weg zu einer Einigung im Februar", sagte Cameron. "Es wird viel harte Arbeit brauchen, aber ich habe heute Nacht viel guten Willen gespürt." Es habe enorme Unterstützung dafür gegeben, Lösungen zu finden, die Großbritannien in der EU halten.

Merkel: Mit gutem Willen geht es

Auch Merkel sieht Chancen für einen Kompromiss. "Bei gutem Willen kann man auch hier Wege finden, die den verschiedenen Anliegen gerecht werden." Eine Änderung der europäischen Verträge schloss sie nicht grundsätzlich aus, forderte aber ein verantwortungsvolles Handeln.

"Wenn wir Vertragsveränderungen brauchen, und ich glaube, das könnte so sein, dann sind wir alle einverstanden, dass die nicht jetzt stattfinden müssen, sondern entsprechend dem britischen Vorschlag später stattfinden können." Allerdings müsste eine solche Entscheidung bereits heute auch vor den Parlamenten gerechtfertigt werden. (APA, 18.12.2015)