Immer wieder entsteigen Flugzeugen auf chinesischen Flughäfen aufgespürte Wirtschaftsverbrecher.

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Auf Chinas Flughäfen herrscht seit kurzem ein ungewöhnliches Kommen und Gehen. Polizisten aus Hongkong, Laos, Südkorea und anderen asiatischen Gebieten, mit denen China Auslieferungsabkommen hat, eskortieren festgenommene Geschäftsleute über die Gangway in die jeweiligen Flugzeuge nach Hause. China liefert an seine Nachbarländer angezeigte mutmaßliche Wirtschaftsverbrecher prompt aus.

Am Mittwoch nahmen Polizisten aus Seoul auf dem Flughafen Nanking den im Oktober in Ostchina festgenommenen 54-jährigen Kang Taeyong in Empfang. Sieben Jahre lang hatte sich der über Interpol meistgesuchte Wirtschaftsverbrecher Südkoreas in dem Nachbarland verstecken können. Er hatte die Mittel, um illegal in China unterzutauchen. Kang war Finanzchef eines einst in Südkorea gigantisch aufgezogenen Betrugsunternehmens nach dem Ponzi-Schema. Er und sein ebenfalls nach China geflohener, dort aber 2011 gestorbener Boss Cho Hee-pai hatten einst zehntausende südkoreanische Anleger um mehr als drei Milliarden Euro geprellt. Südkorea kam Kang erst im Oktober auf die Spur und verlangte von China seine Festnahme und Überführung nach dem bilateralen Auslieferungsabkommen vom Juni 2013.

Kang ist nur einer von vielen Wirtschaftsverbrechern und Finanzschwindlern vorwiegend aus asiatischen Staaten, die sich ihrer Verfolgung durch die Flucht nach China entzogen und dort oft jahrelang untertauchten. Auch beste Beziehungen können sie nicht mehr vor der Auslieferung schützen.

Grund zu zittern

Umgekehrt aber sind es tausende Chinesen, nach denen Peking in aller Welt fahnden lässt. Sie haben Grund zu zittern. Die Volksrepublik lässt seit Anfang 2014 systematisch alle Schlupflöcher im Ausland stopfen, wohin sich einst – unerreichbar für Chinas Justiz – der Korruption verdächtige Funktionäre, Staatsdirektoren und Konzernchefs mit ihren unterschlagenen Vermögen in Sicherheit brachten.

Seit dem Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping, der den Antikorruptionskampf im Inland zur Chefsache machte, lässt China nun auch ein globales Netzwerk dagegen knüpfen. Für die geflohenen Wirtschaftskriminellen solle es "keinen einzigen sicheren Hafen in der Welt mehr geben", sagte der Leiter der neuen Zentralgruppe Korruptionsbekämpfung im internationalen Bereich, Liu Jianchao.

Vor drei Monaten stieg der Ex-Botschafter und Vizeminister im Außenministerium überraschend zum Abteilungsleiter für internationale Kooperation in der ebenso mächtigen wie geheimnisvollen ZK-Kommission für Disziplinkontrolle auf. Lius Berufung steht für den Versuch, für mehr Transparenz in einer neuen Antikorruptionskampagne zu sorgen, die vom Inland ins Ausland überschwappt.

Am Donnerstag traf er sich erstmals mit Pekinger Korrespondenten. Die neue Fahndungsoffensive seiner Behörde, die einst "Fuchsjagd" und nun "Himmelsnetz" genannt wird, nimmt Fahrt auf. 2014 wurden 500 wegen Verdachts auf Korruption und Wirtschaftskriminalität gesuchte ehemalige hochrangige KP-Beamte oder Wirtschaftsführer aus zwei Dutzend Ländern nach China zurückgeholt, wo ihnen der Prozess gemacht wird.

Noch keine Zahlen über abgezogene Vermögen

Seit Anfang des Jahres waren es bis Ende November bereits 850 Verdächtige aus mehr als 70 Staaten. Fast die Hälfte von ihnen wurden an China ausgeliefert, ebenso viele stellten sich selbst. Die übrigen wurden in Nachbarstaaten wie Laos bei gemeinsamen Polizeirazzien festgenommen. Liu wollte nicht verraten, nach wie vielen Beschuldigten China weltweit fahndet und wie hoch die Summen sind, die sie einst mitgehen ließen: "Wir haben dafür die Zahlen, müssen sie aber noch überprüfen, bevor wir sie bekanntgeben."

China hat bisher Auslieferungsabkommen mit 39 Staaten geschlossen. Besonders der Westen hegt massive Bedenken, ob Ausgelieferten ein fairer Prozess gemacht wird, ihnen die Todesstrafe oder Folter droht. Die meisten Auslieferungsverträge schloss die Regierung mit Staaten in Asien, Zentralasien und Afrika, nicht aber mit den USA, Kanada, Australien oder Europa, den Hauptfluchtländern mutmaßlicher chinesischer Wirtschaftsverbrecher. Doch China schließt immer mehr Amtshilfeabkommen für Verbrechensfälle, bisher mit 52 Ländern. Zusammenarbeit bei der Korruptionsbekämpfung steht auch auf der Tagesordnung des G20-Gipfels, der 2016 im chinesischen Hangzhou stattfindet.

Liste der meistgesuchten Wirtschaftsverbrecher

Im April veröffentlichte Pekings "Interpol-China-Büro" die erste "Rote Liste der 100 meistgesuchten Wirtschaftsverbrecher" und verbreitete deren Fahndungsfotos mit Namen und Vorwürfen. Die Gesuchten, von denen 40 in die USA und 26 nach Kanada geflüchtet sind, wehren sich mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Auslieferung. 48 von ihnen waren einst führende Funktionäre in Parteigremien, der Regierung oder Staatskonzernen. Liu sagt, dass sechs Monate nach Herausgabe der Liste "18 der 100 Gesuchten nach China zurückgekehrt sind".

Liu bestreitet, dass sich hinter der gigantischen Antikorruptionskampagne ein Machtkampf verbirgt. Die Ereignisse seien keine neuen Folgen von "House of Cards". Ziel Pekings sei, die systemische Korruption durch mehr Öffentlichkeit, Erziehung und verbesserte institutionelle Kontrolle so einzudämmen, dass sich künftig kein Funktionär und Staatsbeamter "mehr traut, korrupt zu sein, es niemandem mehr möglich ist und es keiner mehr versucht". (Johnny Erling, 18.12.2015)