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PSA-Tests zur Frühdiagnose von Prostatakrebs sind umstritten, ...

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... schreibt EbM-Experte Gerald Gartlehner. Er nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

Foto: georg h. jeitler/donau-uni krems

Das Thema Krebs löst bei vielen Angst aus. Der Gedanke, Opfer eines unkontrolliert wuchernden Gewächses im Inneren des eigenen Körpers zu werden, ist alles andere als behaglich. Noch besorgniserregender wird es, wenn es wie bei der Prostata um den Intimbereich geht.

Hier weiß die Österreichische Krebshilfe zu beruhigen: Zum Glück gebe es ja einen einfachen Bluttest (PSA-Test), mit dem man Prostatakrebs rechtzeitig in einem noch heilbaren Stadium entdecken könne. Dafür wirbt die Krebshilfe auch in Info-Broschüren wie jener der Vorarlberger Selbsthilfe Prostatakrebs. Ab dem 45. Lebensjahr einmal jährlich zum Test – und besorgte Männer seien alle Sorgen los.

Deutliche Warnung

Dass damit für viele Männer die Sorgen erst anfangen, erwähnt die Broschüre jedoch mit keinem Wort. Vertrauenswürdige Patienteninformation sieht anders aus. Tatsächlich gibt es zahlreiche kritische Stimmen, die vor solchen Bluttests warnen. Aber warum warnen? Was kann denn daran falsch sein, Krebs möglichst zu einem Zeitpunkt zu entdecken, wo er noch behandelbar ist?

Die kritischen Stimmen stammen nicht von irgendwem: Es sind unter anderem die Stimmen der Tiroler Allgemeinmediziner, des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, der US Preventive Services Task Force, der kanadischen Task Force on Preventive Healthcare und des United Kingdom Screening Committee. Sie alle sprechen ein gewichtiges Argument an, das gerne verdrängt wird.

Ein Krebsfrüherkennungstest ist wie ein übernervöser Wachhund: Er schlägt häufig Alarm, wenn gar keine Bedrohung vorhanden ist. Bei einem Wachhund mag das häufige laute Kläffen zwar lästig sein, im Grunde ist es aber harmlos. Schlägt hingegen der Prostatakrebs-Früherkennungstest Alarm, weil der Wert des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) im Blut zu hoch ist, sind die Konsequenzen empfindlicher.

150 von 1.000 Männern, die über ein Jahrzehnt hinweg an der PSA-Vorsorgeuntersuchung teilnehmen, erhalten als Ergebnis einen Krebsverdacht. Ein erhöhter PSA-Wert kann jedoch viele Ursachen haben, die Werte steigen zum Beispiel auch durch Radfahren, Sex oder eine gutartige Prostatavergrößerung. Um abzuklären, ob die betroffenen Männer tatsächlich Krebs haben, müssen sie weitere Tests und eventuell sogar eine Gewebsentnahme der Prostata über sich ergehen lassen. Bis die Ergebnisse vorliegen, vergehen bange Wochen oder Monate voller Angst.

Oft falscher Alarm

Bei vielen Männern zeigt sich, dass der erhöhte PSA-Wert ein falscher Alarm war. Prostatakarzinome können sehr unterschiedlich sein, von extrem aggressiv bis völlig harmlos. Es gibt ungefährliche Prostatakarzinome, die sehr langsam fortschreiten und an denen niemand sterben würde. Tatsächlich haben vier von fünf verstorbenen Männern über 80 Prostatakrebs, ohne dass sie das gewusst haben. Gestorben sind sie an anderen Ursachen.

Aggressive und harmlose Prostatakarzinome sind nicht immer klar voneinander unterscheidbar. Die Folge: Es werden viele Männer nach PSA-Tests unnötig operiert. Eine große europäische PSA-Studie zeigt, dass bei 27 Männern die Prostata entfernt werden muss, um einem das Leben zu retten.

26 Männer werden also operiert, ohne dass sie einen Nutzen davon haben. Es bleibt ihnen nur das Risiko der Nebenwirkungen: Rund die Hälfte der operierten Männer sind danach impotent, jeder fünfte inkontinent, kann also seinen Harn nicht mehr vollständig zurückhalten. Fakten, die die Broschüre der Vorarlberger Selbsthilfegruppe verschweigt.

Nutzen sehr begrenzt

Auch der nervöseste Wachhund erwischt trotz unzähliger Fehlalarme auch einmal einen echten Bösewicht. Der PSA-Test kann – regelmäßig an gesunden Männern ab 50 durchgeführt – tatsächlich die Zahl der Prostatakrebs-Sterbefälle verringern – allerdings nur sehr selten. Damit ein einziger Mann vor dem Tod durch Prostatakrebs bewahrt wird, müssen beinahe 800 gesunde Männer 13 Jahre lang zu PSA-Früherkennungstests eingeladen werden.

In Summe können PSA-Testungen an Gesunden aber keine Leben retten. Die europäische PSA-Studie zeigt, dass Todesfälle durch Prostatakrebs zwar leicht verringert werden – zugleich können aber Infektionen bei der Gewebsentnahme sowie Komplikationen bei der Operation zum Tod führen. Alles in allem also eine ausgeglichene Bilanz.

Individuelle Patientenentscheidung

Die Entscheidung für oder gegen PSA-Tests zur Früherkennung soll nicht der Arzt, sondern jeder Mann für sich selbst treffen. Sie hängt in erster Linie von den persönlichen Werten ab und der Bereitschaft, ein erhöhtes Impotenz- und Inkontinenz-Risiko in Kauf zu nehmen, um nicht an einem Prostatakarzinom zu versterben.

Voraussetzung für eine individuelle Entscheidung ist in jedem Fall ehrliche und objektive Information über alle Vor- und Nachteile. Doch das ist heute in Österreich eher die Ausnahme als die Regel, wie eine Untersuchung der Qualität österreichischer Patientenbroschüren zum Thema zeigt.

Informationen vorzuenthalten, um mehr Menschen zur Teilnahme an Früherkennungstests zu bewegen, ist unethisch. Überlegungen, die unter anderem auch die Verantwortlichen der PSA-Kampagne in Vorarlberg berücksichtigen sollten. (Gerald Gartlehner, 18.12.2015)