Wien – Unmittelbar nach Ende der Pariser UN-Klimakonferenz passt dieses Stück perfekt: Anthropozän der Wiener Urban-Dance-Formation Hungry Sharks. Aber ist so ein Thema mit Tanz überhaupt zu bewältigen? Klugerweise widmet Choreograf Valentin Alfery diese Arbeit – seinem selbstgewählten Beinamen "Knuffelbunt" entsprechend – in der performativen Spielwiese Dschungel Wien einem Zielpublikum ab 13 Jahren. Dafür passt es auch perfekt.
Mit dem noch in Debatte befindlichen Begriff des Anthropozän sollten sich (nicht nur) Jugendliche auseinandersetzen, weil er alle etwas angeht. Denn er gibt dem gegenwärtigen Erdzeitalter, in dem menschliches Einwirken den Planeten maßgeblich verändert, einen treffenden Namen. Geprägt wurde das Wort von dem holländischen Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen im Jahr 2000. Seither wird diskutiert, ob dieses Zeitalter mit dem Beginn der Industrialisierung um 1800 oder vielleicht doch schon früher eingesetzt habe.
Es gibt jedenfalls Erkenntnisse darüber, dass der menschliche Einfluss auf die Natur bereits vor 45.000 Jahren zu schwerwiegenden Umwälzungen unter anderem in der australischen Fauna führte. Beunruhigend. Denn demnach wäre der Homo sapiens bereits seit Jahrtausenden ein, wie der Historiker Yuval Harari es ausdrückt, "ökologischer Massenmörder".
Lämpchen in der Finsternis
Dem entspricht die Finsternis, in der das Anthropozän der Hungry Sharks beginnt, wenn sich sieben Figuren auf die Bühne schieben und ab und zu ein Taschenlämpchen aufblitzen lassen. Das künstliche Licht ist zentrales Symbol und archaischer Kult: in einer Fingertanz-Beschwörungsszene "erweckt" die Gruppe gemeinsam eine kleine Lampe.
Kurz danach schimmert ein stilisierter Bildschirm. Zwei färbige Leuchtstoffröhren, die von ferne an die Laserschwerter in Star Wars erinnern, blitzen auf. Ebenfalls zum Einsatz kommt die berühmt gewordene kleine Trick-Schreibtischlampe eines US-Computeranimations-Unternehmens.
Valentin Alferys Anthropozän startet also mit dem elektrischen Zeitalter und wechselt gleich zu Assoziationen mit der Gegenwart. Für die Darstellung dieser in schnellen Brüchen hingeworfenen Entwicklung sind die verschiedenen Varianten des Urban Dance im Stück ideales Mittel.
Die Soli und Formationen der Hungry-Sharks-Tänzer, darunter mit Farah Deen nur eine Frau, kommen rasant, beherrscht und überzeugend über die Bühne. Der Lichtkult führt zu Kampfszenen. Der Homo sapiens ist eben eigentlich ein "Homo horribilis". Anthropozän hat Witz, aber auch einige dramaturgische Schwächen. Pathos kommt jedoch kaum auf. Als Jugendstück: sehr gelungen. (Helmut Ploebst, 19.12.2015)