Neue Heimat: Flüchtlinge im ehemaligen Mädchenwohnheim der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck. Die "HERberge" schafft mit einfachen Mitteln Wohnlichkeit fern jeglicher Lageratmosphäre.

David Schreyer

Manchmal hilft es, sich aufs Wesentliche zu besinnen, auch wenn dieses Wesentliche auf den ersten Blick banal erscheint. "Orte für Menschen", der Titel des Österreich-Beitrags für die Architektur-Biennale 2016 ist so ein Fall. Orte für Menschen – das ist im Grunde eine Tätigkeitsbeschreibung für das, was Architekten tun.

Doch das Allgemeine resultierte aus dem Akuten: "Im Sommer, als wir beim Brainstorming zum Biennale-Beitrag saßen, hat uns das Thema Flüchtlinge stark bewegt", erklärte Biennale-Kommissärin Elke Delugan-Meissl bei der Präsentation des Konzepts Anfang dieser Woche. Die 2016 in Venedig ausgestellten Orte für Menschen werden daher drei konkrete Standorte in Wien sein, an denen sich die Teams Caramel Architekten, the Next Enterprise und Eoos in den nächsten Monaten zur neuen Heimat für Flüchtlinge werden lassen.

So omnipräsent war und ist das Thema in diesem Jahr, dass es kaum wundert, dass auch andere Biennale-Nationen sich seiner angenommen haben: Deutschlands Beitrag steht unter dem bewusst provokanten Motto: "Making Heimat. Germany, Arrival Country." Ganz im Sinne des Merkel'schen "Wir schaffen das!" sollen dabei deutsche Ankunftsstädte untersucht und die Ergebnisse eines "Call for Projects" vorgestellt werden, den das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt (DAM) im November aussandte, um Bauideen für Flüchtlinge zu sammeln.

Mobilisierung des Leerstands

Dass dies keine Schau der Hochglanzvisionen wird, ist abzusehen, denn die Beiträge, die Architekten bisher zur konstruktiven Notstandshilfe geleistet haben, sind bewusst pragmatisch. Schon 2014 fanden sich in Wien die IG Architektur und die NGO "Architektur ohne Grenzen" zusammen, um sich unter dem Motto "Kein Ort. Nirgends" in Arbeitsgruppen auf die Suche nach Lösungen zu machen. Eine davon ist die Innengestaltung der Asylbewerberunterkunft Haus Daria, das die Caritas in Wien-Favoriten betreibt. Der Bedarf, so die beteiligten Architekten unisono, sei eben vor allem die Mobilisierung des Leerstands. Ein schickes Designer-Flüchtlingsheim auf dem Präsentierteller würde wohl bei allen Beteiligten für Magengrimmen sorgen.

Angesichts des sensiblen Themas war Österreichs Biennale-Team bemüht, zu betonen, es gehe generell um Räume für Hilfsbedürftige, ob Flüchtlinge oder nicht. Auch ein Symposium unter dem Titel "Home not Shelter" am vorigen Wochenende fasste den Rahmen weiter, bis hin zum leistbaren Wohnen. "Home not Shelter" ist eine Kooperation der TU Wien mit vier deutschen Hochschulen zum Thema "Gemeinsam leben statt getrennt wohnen." Die Ergebnisse werden 2016 zu sehen sein. "Es geht bei der Aufgabe darum, so programmatisch zu denken, dass die Methode auch andernorts angewendet werden kann", sagt Alexander Hagner von Gaupenraub Architekten, der die Wiener Studenten betreut.

Ebenfalls Teil des Teams ist die Leibniz-Universität Hannover, dort entwarfen Architekturstudenten schon im Rahmen eines Wettbewerbs Wohnungen für Flüchtlinge. Der Titel: "The Peoples Project". Mitte dieser Woche wurden die besten Projekte von einer Jury ausgewählt. Bis Februar 2016 sollen die Entwürfe weiterentwickelt und anschließend auf dem Gelände vor der Fakultät für Architektur und Landschaft in Hannover-Herrenhausen gebaut und bewohnt werden.

Menschenwürdiger Wohnraum

"Die scheinbar so großen Hindernisse wie die Einhaltung technischer und ästhetischer Standards sowie die Bezahlbarkeit durch die öffentliche Hand sind überwindbar, wie die Praxis unmissverständlich zeigt", sagt Markus Gildner, Initiator und Entwickler des Projekts. "Es ist möglich, Flüchtlingen einen menschenwürdigen Wohnraum inmitten unserer Gesellschaft zu bieten. Es braucht nur echten Willen, mutige Investoren, willige Behördenleiter und ehrgeizige Politiker."

Und manchmal auch die Privatinitiative einiger weniger Protagonisten. Im Innsbrucker Stadtviertel Saggen, nur einen Steinwurf von der Innenstadt entfernt, wurde Ende November die "HERberge" fertiggestellt. Das Projekt umfasst 45 Wohneinheiten für insgesamt 131 Flüchtlinge. Die Revitalisierung des ehemaligen Klosterschulen-Mädchenwohnheims, das 1960 errichtet wurde und seit 2008 leerstand, geht auf eine Initiative des Ordens der Barmherzigen Schwestern zurück.

"Tatsache ist, dass die Kirche über einige leerstehende Bauten verfügt", sagt Schwester Pia Regina im Gespräch mit dem Standard. Die 71-Jährige ist Provinzvikarin der Barmherzigen Schwestern und war in das Projekt stark involviert. "Nachdem es unsere Aufgabe als Orden ist, Menschen in der Not zu helfen, war für uns klar, dass wir die Zurverfügungstellung des ehemaligen Wohnheims auf unserem Grundstück als Auftrag sehen müssen. Wir sind zwar schon alt, und einige von uns können nicht mehr richtig zupacken, aber das war der Beitrag, den wir leisten können."

Das Gebäude wurde gedämmt, mit neuen Sanitär- und Elektroinstallationen ausgestattet sowie mit einer neuen Heizung versehen. Pro Geschoß gibt es nun ein bis zwei Balkone, die als Freiraum, Wäscheständer und Open-Air-Rauchkammerl dienen. Darüber hinaus wurde das gesamte Haus möbliert und mit Sonderräumen wie etwa Spielzimmer, Nähzimmer und Fitnessraum ausgestattet. Zu den Bewohnern zählen Familien und junge Männer aus Syrien, Afghanistan, Irak, Aserbaidschan, Somalia und Nigeria.

Günstige Baustoffe

"Der Umbau zur Herberge war ein absolutes Low-Budget-Projekt", sagt die zuständige Architektin Barbara Poberschnigg, Partnerin im Innsbrucker Büro Studio Lois. "Vor dem Projektstart haben wir zunächst einmal eine Umfrage gestartet, welche Unternehmen Auslaufmodelle und Fehlbestellungen abzugeben haben. Auf Basis dieses Katalogs an günstig zukaufbaren Baustoffen haben wir dann erst mit der eigentlichen Planung begonnen." Manche Firmen, so Poberschnigg, hätten ihre Produkte und Materialien sogar kostenlos oder zum Einkaufspreis weitergegeben.

Das Gesamtbudget für Umbau und Sanierung beläuft sich auf 2,5 Millionen Euro. Zusätzlich dazu schlägt die Möblierung mit 1700 Euro pro Zimmer zu Buche. "Die Einrichtung der privaten Wohn- und Schlafräume besteht zu einem großen Teil aus Fertigmöbeln, die wir vor Ort mit rund 200 freiwilligen Helfern zwei Tage lang zusammengeschraubt haben", erklärt die Architektin. Die Möbel für die gemeinschaftlichen Wohnbereiche habe man aus diversen Altbeständen und Wohnungsauflösungen zusammengetragen. Ein Teil der Vintage-Einrichtung stamme von diversen Dachböden der Barmherzigen Schwestern.

"Wissen Sie, einige der Schwestern hatten Angst, als wir das Projekt gestartet haben", erinnert sich Schwester Pia Regina. "Aber ich denke, die Menschen brauchen sich nicht zu fürchten. Die Erfahrung zeigt, dass es allen besser geht, sobald sie nicht mehr hungrig und heimatlos sind. Und wir haben diesen Menschen eine Herberge gegeben. Eine Herberge, die keine Halle ist und auch kein Zelt."

Ein Ort für Menschen eben. Eine neue Heimat für die Heimatlosen und eine Frischzellenkur für die Architektur, die sich einmal mehr ihrer ureigenen Aufgabe vergewissern kann. (Wojciech Czaja, Maik Novotny, 18.12.2015)