Das Berliner "Be an Angel"-Team Andreas Tölke (links hinten) und Tanya Neufeldt mit Sayed (hinten Mitte), Mujo, Mubeen, Ali und der Familie Habibi während des Renovierens der Wohnungen am Prenzlauer Berg.

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Das "Lageso" ist zum Symbol für politisches Versagen geworden – zu Recht: Hier werden täglich 500 Flüchtlinge hinbestellt und nur 200 vorgelassen. Es mangelt an zusätzlichem Personal für Öffnungszeiten rund um die Uhr.

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Wie hilft man Flüchtlingen? Viele spenden Geld, andere helfen mit. Andreas Tölke hat spontan seine Wohnung geöffnet – und dann einen Verein gegründet.

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Andreas Tölke und das Wohnzimmermatratzenlager.

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Tölke und die Jungs.

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Helfer und die Familie Habib

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Hätte Facebook kein so gutes Gedächtnis, Andreas Tölke wüsste gar nicht mehr, wann das alles begonnen hat. Es dämmerte ihm schon, dass da wohl Menschen auf dem Weg nach Deutschland sind, als er sich am 15. August in den sozialen Netzwerken herumtreibt und ein Posting der Flüchtlingshilfsorganisation "Moabit hilft" liest: "Ca. 60 Flüchtlinge stehen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales. Wir suchen dringend Unterkünfte."

Wie viele andere will der Berliner Lifestyle-Journalist helfen. Und weil Tölke, Jahrgang 1960, allein mit seinem Hund Müller in einer 120-Quadratmeter-Designerwohnung lebt und, wie er selbst sagt, wenig geeignet ist, Altkleider zu sortieren, schreibt er eine folgenschwere SMS: "Es gibt Platz, Baby!" Das Team von "Moabit hilft" ant-wortet prompt, und als Tanya Neufeldt eine halbe Stunde später mit drei Ägyptern, einem Moldawier und einem Bosnier bei ihm im Flur stand, war das nicht nur der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, sondern, wie Neufeldt es formuliert, "der Kickoff für den ganzen Wahnsinn".

Denn bei 60 Flüchtlingen vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales ist es längst nicht geblieben. Mehr als eine halbe Million Menschen sind mittlerweile via Balkanroute durch Österreich weiter nach Deutschland gezogen und dort nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel verteilt worden. Rund 70.000 sind in der deutschen Hauptstadt gelandet, die nur 50.000 hätte aufnehmen müssen.

Nehmt sie doch bei euch auf

Angela Merkels Schlachtruf "Wir schaffen das!" hat nicht nur Parteigenossen vergrämt, sondern etliche Private heftig angespornt. Andreas Tölke zum Beispiel. Der vermittelt von damals bis heute in seinem Freundeskreis über tausend Übernachtungen, um Flüchtlingen am Ende ihrer Reise eine kleine Verschnaufpause zu schenken, und hatte rund 50-mal bei sich auf dem Sofa Gäste aus Afghanistan oder Syrien, Irak oder Pakistan.

Am 16. August postet er dazu zum ersten Mal: "Und falls jemand sagt: 'Dann nehmt sie doch bei euch auf', können genau die Fotos weitergepostet werden ..." Und er zeigt dazu Fotos von seinem Wohnzimmermatratzenlager. Im Oktober gründen er und die Schauspielerin und Buchautorin Tanya Neufeldt den Verein "Be an Angel". "Was wir machen, ist eine ganz kleine Nummer", betonen beide. Aber sie nutzen ihr Netzwerk, um ein paar Menschen bei ihrer Integration in ein neues Leben zu helfen.

Rund 30 Flüchtlinge betreut "Be an Angel" derzeit intensiv, der Verein kümmert sich um Wohnraum, koordiniert Behördengänge und Arztbesuche und checkt den Deutschunterricht. "Wir haben eine Wohnung für unsere Jungs", postet Neufeldt am 13. Oktober stolz und meint damit vier junge Pakistani.

Ein Spender hat gleich eine Mietwohnung auf zwei Jahre durchfinanziert. "Jetzt brauchen wir nur noch eure Hilfe!", schreibt sie und sammelt binnen zweier Wochen den Hausstand für die WG. Auch in die darunterliegende Wohnung ziehen Mitte November die Habibis ein, eine Familie aus Afghanistan mit zwei erwachsenen Söhnen und einer über 80-jährigen Oma. Mitte Dezember wird der dritte Mietvertrag unterschrieben.

Tatsächlich wie ein Schutzengel, dennoch salopp in Jeans und Parker, sitzt Andreas Tölke Anfang November neben seinem Schützling Sayed vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales – in Deutschland nur "Lageso" genannt. Hier stehen nicht nur Tag für Tag Flüchtlinge für ihre Erstregistrierung und Sozialleistungen wie monatliches Taschengeld oder Hostelgutscheine an.

Das Lageso ist mittlerweile ein historischer Ort. Hier drängelten sich im Sommer tausende Flüchtlinge bei Gluthitze und hatten zunächst nicht einmal Wasser zu trinken. Und ein Kerzenmeer am Eingang erinnert noch immer daran, dass hier im Oktober auch ein Flüchtlingskind entführt wurde. "Mohammed ist tot. Eine Behörde hat zugeschaut", schreibt Tölke am 29. Oktober via Facebook.

Ähnlich wie der Berliner Flughafen ist das Lageso zum Symbol für Scheitern und Versagen geworden – zu Recht: Hier werden täglich 500 Flüchtlinge hinbestellt und nur 200 vorgelassen. Ende Oktober musste die Polizei gegen Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes ermitteln, die vor dem Lageso auf Flüchtlinge eingeprügelt haben. Die Laufzettel für Flüchtlinge sind noch immer in kompliziertem Amtsdeutsch formuliert, und den rund 1000 Mitarbeitern fehlt ein einheitliches Computersystem, um die unzähligen Akten zu digitalisieren.

Es mangelt an zusätzlichem Personal für Öffnungszeiten rund um die Uhr. Es gab lange keine Shuttlebusse zu anderen Behörden wie etwa der neuen Registrierungsstelle in der Bundesallee oder dem Bundesamt für Migration in Spandau. Und angeblich schuldet das Lageso allein Hostelbetreibern 25 Millionen Euro. In anderen Bundesländern wird die Erstregistrierung längst mobil vor Ort in den Flüchtlingsnotunterkünften vorgenommen, so etwa in München oder Hamburg.

Sayed, einer der vier Pakistanis aus der "Be an Angel"-WG wartet hier schon wieder seit sieben Uhr früh. Er weiß gar nicht mehr zum wievielten Mal. Heute für sein monatliches Taschengeld. Dank Tölke konnte er seinen Laufzettel zwar abgeben, aber jetzt, kurz vor ein Uhr Mittag, müssen die beiden noch einmal warten, weil der Sachbearbeiter gerade Mittagspause macht, und das, obwohl der routinierte Flüchtlingshelfer "Linecrashing" betrieben, auf gut Deutsch: sich vorgedrängt hat.

Die Security-Leute haben ihn durchgelassen. Das hat Sayed zumindest die lange Schlange im Vorzelt erspart. Drei Monate ist Sayed jetzt in Deutschland, erzählt er, eine Zeitspanne, binnen deren unter normalen Umständen ein Asylverfahren abgewickelt sein sollte. Aber normale Umstände herrschen hier schon länger nicht. Obwohl der junge Mann aus Pakistan lächelt, wenn man mit ihm spricht, sieht er müde aus, man würde ihn auf 40 Jahre schätzen. "Er ist 28", sagt Tölke mit diesem Blick, der all jenen gilt, die glauben, dass diese Leute aus Jux und Tollerei hierherkommen.

Es ist wie Roulette

"Es ist wie Roulette", weiß der freiwillige Helfer und erzählt ohne Punkt und Komma von seinem Alltag als Betreuer, von Behördenschikanen, von Flüchtlingen, die toll sind, und anderen, die ihre Frauen schlagen, von Tricks mit den Hostelgutscheinen und Helferkollegen, die mittlerweile am Ende sind, über deutsche Grundwerte und den IS-Terror, vor dem diese Leute geflüchtet sind.

Andreas Tölke spricht gnadenlos alles aus, und er ist ein gnadenloser Schnellredner. Nur wenn er mit Sayed spricht, macht er eine Ausnahme. Es ist Nachmittag geworden, die beiden hocken jetzt auf dem Boden in einem der Gänge im vierten Stock von Haus A, einem Betonklotz. Wer hier keinen deutschen Begleiter dabeihat, ist verloren, sind sich Helfer einig.

Die Luft ist stickig, der Boden schmutzig, das Murmeln von Menschen in verschiedensten Sprachen, Kinderstimmen und die manchmal auch unwirschen Aufrufe der Sachbearbeiter mischen sich mit dem beständigen Dingdong der Anzeigetafel, auf der die Nummern für die Wartenden aufleuchten, zu einem Hintergrundgeräusch, das müde macht. Männer schlafen mit ihrem Oberkörper auf den Knien, Sachbearbeiter hetzen mit Akten in der Hand aus ihren kleinen Zimmern an den auf harten Sesselschalen oder auf dem Kunststoffboden Sitzenden vorbei.

Manche Dolmetscherinnen tragen Kopftücher wie manche der Flüchtlingsfrauen auch. Tölke stöhnt, wenn jetzt sein Akku ausfällt, kann er nicht einmal Mails checken, keinen Themenvorschlag an die Redaktion verschicken, sprich das tun, womit der freie Journalist seine Brötchen verdient. Ab und an schickt er noch Facebook-Nachrichten, wie er es nennt, "aus seiner anderen Welt", aus den Fünfsternehotels, den Manufakturen oder Designmessen. Aber meistens geht es nicht mehr um Luxus, sondern um Menschenleben. Bereits am 17. Oktober postet Andreas Tölke: "Hallo Herr Czaja. Wir mögen Sie nicht. Lageso – eine Schande. Ihre Verantwortung." Er meint damit den Sozialsenator Mario Czaja von der CDU, dem das Landesamt untersteht.

Tölkes Akku ist leer, noch bevor Sayed in Zimmer 429 landet, einem Raum, der aussieht wie aus einem Kafka-Roman: zwei schäbige Schreibtische, offene Schränke mit altmodischen Hängeregistern mit Beschriftungen, die keiner offensichtlichen Logik folgen. Dort muss Sayed mit einer Dolmetscherin noch einmal ein Formular ausfüllen. Die schlechte Nachricht: Es ist vier Uhr, als Andreas und Sayed wieder draußen vor dem Gebäude landen, im Erdgeschoß tummeln sich immer noch Menschen, deren Nummern heute nicht auf der Anzeigetafel erscheinen werden.

Die guten Nachrichten: Für Sayed war es der letzte Tag, an dem er hier anstehen muss, er zählt nicht mehr zu den Neuzugängen. Sayeds verlorene Aktenteile sind wieder aufgetaucht. Und der Bankomat im Erdgeschoß der Behörde hat nach acht Stunden Wartezeit für Sayed 90 Euro ausgespuckt.

"Geiler Stundenlohn", wird Andreas später sagen, als sich Sayed in Richtung WG verabschiedet hat. Auf dem Weg zu Tanya Neufeldt zur Lagebesprechung in das kleine Office von "Be an Angel" gleich ums Eck vom Lageso, macht er noch Zwischenstopp bei "Moabit hilft". Christiane Beckmann, eine mittelalterliche Frau mit dicker Weste und resoluter Stimme hat mit einem Flüchtling die Lageso-Tour vor sich. "Du wirst mindestens drei, vier Stunden sitzen", warnt Tölke. "Alles klar", sagt Beckmann und lacht, "wie beim Zahnarzt!"

Der Stützpunkt von "Moabit hilft" befindet sich auf dem Lageso-Gelände, aber die Räumlichkeiten, wo sonst Essen und Kleider ausgegeben werden, sind heute geschlossen. Später steht in der Presse zu lesen, dass interne Machtkämpfe dazu geführt haben, dass Leute den Verein verlassen haben. Kein Wunder: Das kleine Nachbarschaftsnetzwerk ist mit der Flüchtlingskrise seit dem Sommer zu einer der bedeutendsten Flüchtlingshilfsorganisationen der Stadt gewachsen. Kein Wunder, dass die Helfer Hilfe brauchen, angesichts der oft aussichtslosen Situationen, mit denen sie täglich zu tun haben: materielle Not, Verlust von Familienangehörigen, häusliche Gewalt, Angst vor Abschiebung, unheilbare Krankheiten, Kommunikationsschwierigkeiten etc.

WCs statt Dixie-Klos

Aber die Freiwilligenempfangskomitees stehen immer noch da, wenn Züge mit Flüchtlingen in Berlin-Schönefeld ankommen und die Neuankommenden mit Bussen in Notunterkünfte gebracht werden. "Keine Ahnung", sagt Tölke, "wie viele es davon mittlerweile gibt." Der "Tagesspiegel" schreibt am 11. Dezember: "Drei weitere Hangars richtet das Lageso im Airport Tempelhof ein, Platz für 2700 Menschen ...

Das ICC, das bald öffnet, ist schon vorab ausgebucht: Dort ziehen Flüchtlinge aus der Messehalle 26 ein, die wieder für internationale Ausstellungen benötigt wird." 40.000 Flüchtlinge sind in der Stadt in 134 Notunterkünften untergebracht, viele davon in Hangars, Fabriks- oder Turnhallen. Für 25.000 Menschen sucht das Land Gemeinschaftsunterkünfte, mit WCs statt Dixi-Klos und Küchen statt Catering.

So gesehen haben Sayed, Ali, Mubeen und Mujo tatsächlich den Jackpot gemacht. Die vier Pakistanis haben sich auf der Flucht in Afghanistan getroffen und sind hier in Berlin wieder zusammengekommen. Neufeldt kennt mittlerweile ihre Geschichten, sie haben miteinander gekocht und gegessen, Ausflüge gemacht, sind für das Asylverfahren angestanden und gemeinsam zum Anwalt oder zum Arzt gegangen.

Es ist kurz nach acht Uhr, die gutaussehende Schauspielerin sitzt ein bisschen müde in der Wohnküche der 70-Quadratmeter-Wohnung im ersten Stock eines Hauses in der Anklamerstraße am Prenzlauer Berg, die nicht voll saniert, aber total okay ist: "Zauberhafte und tolle Menschen sind das", sagt Neufeldt begeistert, während Sayed Tee für alle macht. Mubeen ist gerade aufgestanden, Mujo und Ali schlafen noch, während Werner, ein hemdsärmeliger Berliner, "für die Jungs" die Therme repariert. Tanya selbst wohnt mit Mann und fünfjährigem Sohn nur ein paar Straßen weiter, "organisationstechnisch super". Fünf Mal in der Woche lernen die Pakistanis drei Stunden Deutsch an der VHS. "Das klappt richtig gut!", sagt Neufeldt, die ansonsten überzeugt ist, dass vieles schiefläuft.

Mujo, der drei Monate in Traiskirchen war, hat sich gerade an der Kiron University, einer Online-Universität für Refugees, eingeschrieben. "Tolle Idee!", findet Neufeldt, nach zwei Jahren geht man an eine feste Universität, um dort nach dem dritten Studienjahr seinen Bachelor zu machen. Sayed kocht sensationell, das hat er in Tölkes Küche öfters bewiesen.

Er will Koch werden und möglichst schnell ein Praktikum machen. Ali hat zu Hause Medizin nicht fertig studiert, er will hier in einem Labor arbeiten, und Mubeen möchte Computertechnik lernen. Alles hochgesteckte Ziele. Um sie zu erreichen, hilft es, dass sich die jungen Männer ums Thema Wohnen die nächsten zwei Jahre nicht sorgen müssen. Neufeldt ist wichtig, dass sie die Zeit, während deren ihre Asylverfahren laufen, sinnvoll nutzen. Da ist die Deutsche ganz Mama und dahinter, dass alles läuft.

"Therme ist jetzt okay!", ruft Werner aus dem Bad, alle WG-Bewohner sind jetzt wach und sitzen in Jogginghosen bei Tanya am Tisch. "Man bekommt ganz viel Anerkennung", sagt Neufeldt und zeigt den Jungs, dass es wieder warmes Wasser gibt. Sie muss jetzt weiter zum nächsten Termin, bei dem es um die Ausrichtung von "Be an Angel" geht. Was nach Luxusproblem klingt, ist wahrscheinlich wichtig für den Verein: Im Moment schiebt Tanya 18-Stunden-Tage, erzählt sie, und sollte Ende Jänner trotz Flüchtlingsarbeit ein Buchmanuskript abliefern: "Da ist es umso wichtiger, sich darüber klar zu werden, was wir leisten können – und was nicht."

Auch Andreas Tölke spricht viel über das Selbstbild von Helfern, das meist "Das geht schon, ich schaff das" lautet, und hat sich selbst dabei im Visier. "Unsere Kräfte sind fast am Ende!", sagen beide. Einen Flüchtling bei sich eine Nacht übernachten zu lassen ist eine Kleinigkeit, es drei Monate hindurch zu machen, ist ein Kraftakt. Andreas Tölke hat mittlerweile gemerkt, dass er seine Wohnung für sich als Rückzugsort wieder braucht. Und Tanya Neufeldt ist dankbar, dass die Behördengänge zum Lageso in Zukunft Praktikanten, die ihnen Human Right Watch geschickt hat, übernehmen werden.

Ermüdungserscheinungen zeigen sich immer wieder, auch weil sich an manchen Stellen kaum etwas bewegt. "Vier Toiletten am Lageso für 400 Leute, nichts verändert sich", schreibt Tölke, "bis auf die Temperaturen draußen." Anfang Dezember haben sich sogar ein paar Mitarbeiter des Lageso an den Rundfunk Berlin-Brandenburg gewandt, um dort – anonym – aus ihrem Arbeitsalltag zu erzählen.

Unter dem Titel "Das Chaos gibt es wirklich" ist darüber am 9. Dezember in der "Berliner Zeitung" zu lesen: "Die unbearbeiteten Fälle stapeln sich in gelben Postkisten. Ein Ordnungssystem gibt es nicht. Deswegen gibt es bei uns auch den Job des Suchers, das sind Kollegen, die nur damit beschäftigt sind, die passenden Akte zu suchen." Anfang vergangener Woche erstattete eine Gruppe von mehr als 40 Anwälten Strafanzeige gegen den Sozialsenator Mario Czaja und dessen Lageso-Chef Franz Allert. In der Nacht zum Donnerstag trat Franz Allert dann zurück, die Grünen in Berlin sprechen von einem "Bauernopfer" und fordern weiter den Rücktritt des verantwortlichen Sozialsenators.

Heiligabend geschlossen

Um Bewegung in die unerfreuliche Lage am Lageso zu bringen, hat "Be an Angel" gemeinsam mit "Moabit hilft" Anfang Dezember zu einer Aktion aufgerufen. Theoretisch kann jeder Geflüchtete, der zu seinem Termin zwar gekommen, aber nicht drangekommen ist, jederzeit bei Gericht einen Eilantrag stellen. "Von dieser Möglichkeit wissen nur die wenigsten", sagt Tanya Neufeldt und freut sich, dass am 1. Dezember tatsächlich 56 Flüchtlinge Anträge stellen konnten, darunter auch zahlreiche ihrer Schützlinge.

Wie sich die Lage am Lageso zu den Feiertagen gestalten wird, ist noch unklar. Fest steht: Wenn die Erstregistrierungsbehörde an der Turmstraße in Berlin-Moabit ab dem Heiligabend bis zum Sonntag geschlossen bleibt, sind die Leidtragenden die Flüchtlinge, die in der Kälte weiter warten. Die Helfer von "Moabit hilft" werden auch über die Feiertage Kleidung, warmen Tee und Essen verteilen – und die neuen, weißen Vorregistrierzelte bleiben dank einer Petition (change.org) nachts geöffnet.

Und nein, Andreas Tölke, wird seinen Weihnachtsabend nicht allein mit seinem Hund Müller auf 120 Quadratmetern verbringen. Er wird ein bisschen wie ein Engel an seiner eigenen Tafel sitzen. Eingeladen bei ihm am Straußberger Platz sind in diesem Jahr rund 35 Gäste. Wir ahnen es: Die Jungs aus Pakistan sind dabei und auch die Familie Habibi aus Afghanistan mit ihrer über 80-jährigen Oma und weitere Schützlinge von "Be an Angel". Sayed natürlich auch. Er wird für alle kochen. (Mia Eidlhuber, 20.12.2015)