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Ein Boot mit Schutzsuchenden erreicht die griechische Insel Lesbos. Fast alle Ankommenden reisen bisher direkt Richtung Norden weiter.

Foto: AP / Santi Palacios

Es war eine etwas skurrile Auseinandersetzung um Zahlen und Statistiken bezüglich des illegalen Zustroms von Flüchtlingen via Griechenland, die am Freitag am Ende des EU-Gipfels in Brüssel aufflackerte. "Juncker operiert mit fragwürdigen Zahlen", titelte "Spiegel online" eine Story, wonach der Kommissionschef eine Grafik mit geschönten Zahlen vorgelegt habe.

Demnach soll sich der Zuzug aus der Türkei kurz nach der Vereinbarung EU/Türkei Ende November halbiert haben, auf rund 2.000 Menschen pro Tag im Schnitt, was ein beträchtlicher Rückgang wäre. UNHCR-Dokumente widersprächen dem aber, hieß es unter Diplomaten des Rates, dessen Präsident Donald Tusk sich seit Wochen als Scharfmacher zu profilieren versucht – gegen Juncker und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

Der Pole fordert dichte EU-Außengrenzen. Ausschlaggebend für die Differenzen dürften das Chaos und die unterschiedlichen Interessen und Intrigen sein, die die Migrationspolitik prägen, vor allem seit eine "Gruppe der Willigen" unter den EU-Staaten das Ruder bei der Kooperation mit der Türkei übernahm.

Türkei entscheidend

Die Schwankungen bei Flüchtlingszahlen dürften mehr auf die schlechte Wetterlage in der Ägäis zurückzuführen sein als auf politische Maßnahmen. Kamen im Oktober noch mehr als 200.000 Migranten illegal in die Union, die – von der Regierung in Athen aktiv befördert – sofort Richtung Norden weiterreisten, ging der Zustrom im November laut EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf rund 100.000 zurück. Die entscheidende Frage wird jetzt sein, wie sich das bis Frühjahr weiterentwickelt; ob die Türkei restriktive Maßnahmen setzt.

Eine faire Verteilung der Flüchtlinge auf 28 Mitglieder ist mangels Kooperation der Länder vorläufig gescheitert. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel setzt daher in der Kerngruppe mit Frankreich, Österreich, Benelux, Schweden, Finnland unter anderem darauf, dass die Türkei den Zustrom auf ihrem Hoheitsgebiet unterbindet.

Unter Vorsitz von Kanzler Werner Faymann wurde eine Arbeitsgruppe beauftragt, bis Februar ein Programm abzuarbeiten, das illegalen Grenzübertritt stark reduziert. Daran arbeiten die Kommission unter Vizepräsident Frans Timmermans und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu mit. Sollte das bis zum Frühjahr gelingen, könnte jener Plan in Kraft treten, den die Koalition der Willigen nun verfolgt: Freiwillige Staaten würden legal zehntausende Flüchtlinge direkt von der Türkei abholen und aufnehmen.

Resettlement statt Relocation

Merkel "wünscht" sich, dass viele EU-Staaten sich an diesem "Resettlement" (Neuansiedlung) unter UNHCR-Aufsicht beteiligen. Bringt das Programm Erfolg, könnte sich die "Relocation" (Umsiedlung) aus Griechenland und Italien, die sowieso nicht funktioniert, als überflüssig erweisen. Von den geplanten 160.000 Flüchtlingsverlegungen wurden bisher 184 realisiert. 1,55 Millionen Menschen fuhren illegal nach Norden. (Thomas Mayer aus Brüssel, 18.12.2015)